Wunschkonzert: Roman (German Edition)
hatte, ist in Sachen Reeperbahnjungs ja wohl mehr als klar.
Schließlich bin ich an der Reihe, mich in die Mitte zu stellen. Meine Hände sind schweißnass, und ich schicke ein Stoßgebet gen Himmel, dass es jetzt nicht allzu schlimm für mich wird.
Wieder fängt Hilde an. »Stella, mein Bild von dir hat sich in den letzten Tagen wirklich verändert, und zwar zum Guten. Ich habe dich immer schon für zuverlässig und gerechtigkeitsliebend gehalten, aber jetzt weiß ich, dass du auch ganz schön mutig bist. Und ein paar andere Sachen, aber die gehören hier nicht hierher.« Sie zwinkert mir zu, ich lächele sie dankbar an. Das geht doch mal nett los.
Leider geht es so nicht weiter, denn als Nächstes trompetet Tobias ein »ja, wirklich nett, aber verklemmt und total verspannt« in die Runde: »Du könntest echt klasse sein, Stella, aber du willst es wohl nicht.« Und als wäre damit ein unsichtbarer Damm gebrochen, hagelt es auf einmal von allen Seiten verbale Schläge. »Eigenbrötlerisch«, bekomme ich von Oliver attestiert. »Kontrollsüchtig«, »besserwisserisch«, »misstrauisch«, »engstirnig«, die Worte prasseln nur so auf mich nieder, und ich weiß gar nicht, wo mir mit einem Mal der Kopf steht.
Möglich, dass hin und wieder auch mal jemand etwas Nettes sagt, von Jenny meine ich so etwas wie »erstaunlich geradlinig und diszipliniert« zu hören, aber danach wird mir sofort ein »Blasiert« entgegengeschmettert. Und obwohl mir schon der Kopf schwirrt, höre ich eine Meinung über mich laut und deutlich aus dem Stimmengeschnatter heraus. Die kommt ausgerechnet von David, und seine Worte fühlen sich an wie ein Todesstoß: »Stella, du stehst dir selbst im Weg. Du kannst einfach nicht loslassen, und darum bist du auch nicht teamfähig.«
Loslassen. Loslassen. Du musst dich entspannen. Du musst locker sein.
Das war’s. Ich kann nicht mehr. Von jetzt auf gleich breche ich in Tränen aus – und dann laufe ich einfach davon.
Heute habe ich den Kopf nicht oben.
Heute bin ich einfach nur auf der Flucht.
Über eine Stunde lang laufe ich ziellos durch den Wald, ehe ich mich wieder einigermaßen abgeregt habe. Wieder und wieder gehen mir die Kommentare meiner Kollegen durch den Kopf, und ich frage mich, ob ich wirklich so bin, wie sie mich sehen. Ich wollte doch immer nur alles richtig machen – und hab es scheinbar genau falsch gemacht. Und wenn David Dressler mich nicht für teamfähig hält, kann ich nächste Woche vermutlich gleich meine Sachen zusammenpacken. Immerhin hat er mehr als einmal betont, wie wichtig ihm diese Eigenschaft bei seinen Mitarbeitern ist.
Ratlos wandere ich umher. Was mache ich denn jetzt? Komplett verlaufen habe ich mich auch noch, den Bus werde ich unter Garantie nicht wiederfinden, wenn die anderen denn überhaupt auf mich gewartet haben. Warum sollten sie überhaupt? Scheinen mich ja alle für eine unentspannte Zicke zu halten.
Sollen sie doch!
Seufzend, aber auch mit grimmiger Überzeugung mache ich mich auf den Weg. Wenn’s sein muss, werde ich eben zu Fuß nach Hause gehen. Wun-der-bar!
Zwei Stunden später erreiche ich meine Wohnung. Eine nette ältere Dame hat mich an der Landstraße eingesammelt und mich in ihrem Auto mitgenommen – das hätte sie fast das Leben gekostet, denn kaum waren wir aus dem Funkloch heraus, schien mein Handy geradezu zu explodieren vor lauter Gepiepe, das entgangene Anrufe und SMS anzeigte, und meine Retterin fuhr vor Schreck fast in die Leitplanke.
»Was war denn das?«, wollte sie erschrocken wissen. »Ist der dritte Weltkrieg ausgebrochen?«
»Das war«, sagte ich mit einem Blick auf das Display, »meine Mutter.«
So ganz stimmte das nicht, auch Miriam und Hilde hatten versucht, mich zu erreichen, aber man entdeckte ihre Nummern kaum zwischen der immer wiederkehrenden von Mama.
Zu Hause wartet eine Überraschung auf mich: Irgendwer hat mir mein Gepäck vor die Tür gestellt. Wenigstens etwas. Oben auf dem einen der zwei Koffer liegt außerdem ein dicker Umschlag. Bereits meine Personalakte? Das wäre dann ja fix gegangen!
Ich schleppe mich durch die Tür, lasse mein Gepäck im Flur stehen und verziehe mich mit dem Umschlag aufs Sofa. Als ich ihn öffne, staune ich nicht schlecht: Darin befindet sich David Dresslers schwarzes Buch! Eilig klappe ich es auf und nestele den Schutzumschlag ab – dann begreife ich gar nichts mehr. David Dresslers Bibel, also das Buch, in dem angeblich die großen Geheimnisse des
Weitere Kostenlose Bücher