Wurzeln
wartet schon!«
»Ja, Herr!«
»Wollt ihr wissen, was der Heilige Vater mir grad eingibt? Er sagt: keiner soll ferne bleiben –«
Das allgemeine Geschrei schwoll so an, daß es beinahe übertönte, was der Älteste noch verkünden wollte. Auf unerklärliche Weise teilte sich etwas von der gemeinschaftlichen Aufregung sogar Kunta mit. Endlich beruhigte sich die Menge so weit, daß er wieder hören konnte, was der Graubart sagte.
»Kinder Gottes, ich verheiße euch das Gelobte Land !. Wer an Ihn glaubt, der soll hineinkommen! Und die an Ihn glauben, die sollen lee-ben ee-wig-lich !«
So ging es weiter. Bald glänzte das Gesicht des Alten vor Schweiß, seine Arme machten weitausholende Bewegungen, sein Körper schwankte im Takt des beschwörenden Singsangs, seine Stimme war heiser vor verzückter Anstrengung. »In der Bibel steht geschrieben, daß der Löwe und das Lamm beieinanderliegen werden!« Der Alte warf den Kopf noch weiter in den Nacken und die Hände gen Himmel. »Dort gibt’s keine Massers und keine Sklaven – nimmermehr ! Dort sind wir alle Gottes Kinder !«
Plötzlich sprang eine der Frauen auf und schrie: »O Jesus! O Jesus! O Jesus! O Jesus!« Sie steckte andere ringsum an, und binnen kurzem waren zwei Dutzend oder mehr Frauen in hemmungsloses Kreisen und Zucken verfallen. Kunta erinnerte sich plötzlich, daß der Fiedler ihm einmal erzählt hatte, wie die Sklaven es machten, wenn die Massers auf einigen Pflanzungen ihnen solche Gottesdienste verboten. Sie versteckten einen großen eisernen Kessel im Wald, und wenn sie der Geist überkam, liefen sie hin, steckten den Kopf hinein und schrien los. Der Topf dämpfte den Lärm genügend, so daß er nicht bis zu den Ohren des Masser oder eines Aufsehers drang.
Kunta war noch mitten in dieser Erinnerung, als er zu seinem Schrecken und mit peinlicher Betroffenheit sah, daß auch Bell unter den taumelnden, schreienden Weibern war. Und just in diesem Moment schrillte eine: »Ich bin Gottes Kind!« , stürzte wie vom Blitz getroffen zu Boden und blieb zitternd liegen. Andere folgten ihrem Beispiel und wälzten sich stöhnend auf dem Rasen. Eine Frau wurde nach gewaltigen Verrenkungen plötzlich starr wie ein Zaunpfahl, schrie aber weiter aus voller Brust: »O Herr! O Jesus, Jesus!«
Kunta sah mit eigenen Augen, daß keine von ihnen dieses Gebaren beabsichtigt hatte. Mit ihnen allen passierte einfach, was sie empfanden – ganz wie seine Stammesgenossen zu Hause bei ihren Tänzen ihren augenblicklichen Eingebungen und Gefühlen folgten. Als der Aufruhr abzuflauen begann, drängte sich Kunta wieder der Vergleich auf: ebenso hatten die Tänze in Juffure immer geendet, in allgemeiner Erschöpfung. Und dort wie hier schienen die Leute zwar ausgepumpt, aber in Frieden mit sich selbst.
Nach einem Weilchen rafften sie sich, eine nach der anderen, vom Boden auf und riefen der Versammlung zu:
»Ich hatte furchtbare Schmerzen im Rücken. Da hab ich zum Herrn gefleht, und Er hat gesagt ›Steh auf und wandle‹, und seit der Stunde tut’s nicht mehr weh.«
»Ich wußte nichts von meinem Herrn Jesus, bis Er meine Seele gerettet hat, und nun schenk ich Ihm meine Liebe, Ihm vor allen andern!«
Andere berichteten ähnliches. Dann begann einer der Alten ein Gebet; alle fielen ein, schrien »A-MEN!« und brachen in den begeisterten Gesang aus: »Ich krieg Schuhe, du kriegst Schuhe, Gottes Kinder kriegen Schuhe! Schuhe anziehn, auf zum Himmel, und in Schuhn gehn wir spazieren – überall in Gottes Himmel, Gottes Himmel! In den Himmel werd ich gehen, in den Himmel, in den Himmel!«
Während des Gesangs waren nach und nach alle aufgestanden und schritten nun sehr langsam dem grauhaarigen Prediger nach, hügelabwärts über die Wiese. Beim Schluß des Liedes hatten sie den kleinen Tümpel erreicht, an dessen Ufer sich der Prediger, flankiert von den anderen drei Ältesten, zu seiner Gemeinde umdrehte und die Arme hob.
»Und nun, Schwestern und Brüder, ist für euch Sünder die Zeit gekommen, eure Sünden hinwegzuwaschen und euch zu reinigen im Flusse JORDAN!«
»O ja!« schrie eine der Frauen am Ufer.
»Die Zeit ist da, auf daß ihr die Höllenfeuer auslöscht in den heiligen Wassern des Gelobten Landes!«
»Ja, ja!« kam ein anderer Zuruf, »red weiter!«
»Ihr alle, die ihr untertauchen wollt für eure unsterbliche Seele und wiederauferstehn im HERRN, ihr bleibt hier stehen. Die andern, die schon getauft sind oder noch nicht bereit für unsern Herrn Jesus –
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