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Wurzeln

Wurzeln

Titel: Wurzeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Haley
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umher und hatten ihren Spaß beim Seilhüpfen, Verstecken und anderen, selbsterfundenen Spielen. Beim »Nigger-Spielen«, wobei sie eines Nachmittags eine reife Wassermelone aufbrachen und ihre Gesichter in das nasse Fruchtfleisch wühlten, verschmierten beide ihre Kleider derart, daß Bell Kizzy mit einem harten Klaps zum Aufheulen brachte und sogar Missy Anne anfauchte: »Ihr solltet es wahrhaftig besser wissen! Das ist nun zehn Jahre alt, geht zur Schule und soll mal eine feine Missy werden …!«
    Obwohl Kunta es aufgegeben hatte, sich zu beklagen, hatte Bell es während Missy Annes Besuchen und mindestens noch einen Tag danach sehr schwer mit ihm. Aber wenn ihm befohlen wurde, Kizzy zu Masser Johns Haus zu bringen, hatte er seinerseits Mühe, seine Freude zu verbergen, daß er endlich wieder einmal allein mit seiner Tochter im Einspänner fahren konnte. Kizzy hatte längst begriffen, daß alles, worüber sie sich bei diesen Gelegenheiten unterhielten, streng geheim unter ihnen bleiben mußte, und deshalb konnte er ihr jetzt alles mögliche über sein Heimatland beibringen, ohne befürchten zu müssen, daß Bell dahinterkam.
    Während der Wagen über die staubigen Spotsylvania-Straßen rollte, nannte Kunta seiner Tochter die Mandinka-Wörter für vieles, was sie unterwegs sahen und hörten. Er deutete auf einen Baum, »yiro« , dann auf die Straße, »silo«. Zu einer grasenden Kuh sagte er »ninsemuso« , und als sie über einen schmalen Brückensteg fuhren, hieß es »salo«. Einmal, als sie in einen kurzen Regenschauer gerieten, rief Kunta »sanjio« , und als die Sonne wieder hervorkam, wies er auch dorthin und sagte »tilo«. Kizzy sah ihm wie gebannt auf den Mund, ahmte dann seine Lippenbewegungen nach und wiederholte alles so lange, bis sie es richtig heraushatte. Bald zeigte sie aus eigenem Antrieb auf dies und jenes und fragte Kunta nach dem Mandinka-Wort. Einmal waren sie kaum außer Hörweite des Herrenhauses, als Kizzy ihn schon in die Rippen stieß, sich an die Schläfe tippte und flüsterte: »Wie heißt mein Kopf?«
    »Kungo« , flüsterte Kunta zurück. Sie zwirbelte ihr Haar; er sagte »kuntinyo«. Sie kniff sich in die Nase; er sagte »nungo«; sie zwickte sich ins Ohr, er sagte »tulo«. Kizzy schleuderte kichernd ein Bein hoch und ergriff ihren großen Zeh. »Sinkumba!« lachte Kunta, nahm ihren neugierigen Zeigefinger, wackelte ihn hin und her und sagte »bulokonding«. Er berührte ihren Mund und sagte »da«. Hierauf faßte Kizzy Kuntas Zeigefinger und deutete damit auf ihn. »fa!« rief sie. Sein Herz strömte über vor väterlicher Liebe.
    Etwas später kamen sie an einem trägen Flüßchen vorbei, und Kunta sagte: »Das ist ein bolongo. « Er erzählte ihr, in seinem Heimatland habe er bei einem Fluß gewohnt, der »Kamby Bolongo« hieß. Als sie abends wieder an dieselbe Stelle kamen, zeigte Kizzy auf das Flüßchen und rief triumphierend: »Kamby Bolongo!« Nun verstand sie natürlich nichts mehr, als er ihr zu erklären versuchte, dies sei der Mattaponi-Fluß, nicht der Gambia-Fluß; Kizzy war so stolz, daß sie sich das Wort gemerkt hatte, daß es ihr auf den Unterschied gar nicht ankam. Der Kamby Bolongo, sagte Kunta, sei viel breiter, schneller und mächtiger als dieses kümmerliche Rinnsal hier. Er wollte ihr schildern, wie der lebenspendende Strom von seinem Volk als Fruchtbarkeitssymbol verehrt wurde, aber er fand natürlich nicht die richtigen Worte dafür. Also erzählte er ihr nur von den Fischen, die sich im Gambia-Fluß tummelten, einschließlich des kräftigen, saftstrotzenden kujalo , der manchmal von selbst ins Kanu sprang, und über die lebenden Teppiche von Vögeln, die auf dem Wasser schaukelten, bis ein übermütiger Knabe, wie er einer gewesen war, brüllend aus dem Ufergebüsch hervorsprang, so daß der ganze Schwarm in die Lüfte stob und den Himmel erfüllte wie ein federleichter Schneesturm. Das, fügte Kunta hinzu, erinnere ihn daran, daß Großmutter Yaisa ihm erzählt hatte, einst habe Allah dem Land Gambia eine entsetzliche Heuschreckenplage geschickt. Es waren so viele, daß sie die Sonne verdunkelten und alles Grün verschlangen, bis der Wind sich drehte und sie hinaus aufs Meer trieb, wo sie schließlich ertranken oder von den Fischen gefressen wurden.
    »Hab ich auch eine Großmammy?« fragte Kizzy.
    »Sogar zwei – meine Mammy und Mammys Mammy.«
    »Warum sind sie nicht bei uns?«
    »Sie wissen gar nicht, wo wir sind«, sagte Kunta. Einen Augenblick

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