Wurzeln
setzen!«
Kunta beobachtete mit wachsendem Erstaunen, daß sich alle wieder setzten, außer zwölf bis fünfzehn Leuten, die sich in einer Reihe am Wasser aufstellten. Der Prediger und der kräftigste der drei anderen Ältesten marschierten geradewegs hinein und drehten sich erst wieder um, als sie bis zu den Hüften im Wasser standen.
Der Prediger redete ein halbwüchsiges Mädchen an, das die erste in der Reihe der Wartenden war. »Bist du bereit, Kind?« Sie nickte. »Dann komm her!«
Die beiden übrigen Alten packten sie rechts und links an den Armen und stolperten mit ihr in den Teich, um sich mit den ersten beiden in der Mitte zu begegnen. Der stärkste von allen packte sie von hinten an den Schultern, die anderen Helfer umklammerten die Arme noch fester, und der Priester legte ihr die Rechte auf die Stirn und sprach: »O Herr, laß dieses Kind reingewaschen sein!« Mit diesen Worten stieß er sie zurück, und die anderen rissen sie nach hinten und drückten sie vollständig unter Wasser.
Als die ersten Blasen aufstiegen und das Mädchen zu zappeln begann, blickten die Alten zum Himmel auf und drückten nur noch stärker. Sie fing an, sich aufzubäumen und wild um sich zu schlagen, und es bedurfte großer Anstrengungen, sie unter Wasser zu halten. »Gleich!« brüllte der Priester über das Gebrodel hinweg. »Jetzt!« Das Mädchen wurde aus dem Wasser gezogen, rang nach Luft, spuckte ganze Bäche und wehrte sich in halber Bewußtlosigkeit, als sie wieder aufs Trockene geschleppt wurde – in die Arme ihrer wartenden Mutter.
Gleich darauf kam der nächste an die Reihe, ein junger Mann Anfang Zwanzig, der die Ältesten schreckensstarr ansah und regelrecht ins Wasser gezerrt werden mußte. Kuntas Mund stand weit offen, als hinterher mehrere Leute der gleichen entsetzlichen Prüfung unterzogen wurden: ein Mann mittleren Alters, dann wieder ein Mädchen von knapp zwölf Jahren, dann eine ältliche Frau, die kaum gehen konnte. Warum taten sie so etwas? Welcher grausame »Gott« konnte solche Leiden von denjenigen fordern, die an ihn glaubten? Wie konnte einer, der halb ersäuft wurde, damit von seinen »Sünden« reingewaschen werden? In Kuntas Hirn jagten sich die Fragen, auf die er keine Antwort fand, bis endlich der letzte der blubbernden Prüflinge aus dem Wasser gezogen wurde.
Nun, dachte er, mußte alles vorüber sein. Aber der Graubart wischte sich nur mit triefendem Ärmel das Gesicht ab und erhob die Stimme von neuem. »Und jetzt – wer ist unter euch, der an diesem heiligen Tag seine Kindlein dem Herrn Jesus weihen will?« Vier Frauen standen auf – allen voran Bell, die Kizzy an der Hand hielt.
Kunta fuhr hinter dem Leiterwagen in die Höhe. Das durfte doch nicht wahr sein! Aber Bell führte die anderen Frauen und Kinder schon zum Ufer, erst langsam und unsicher, dann immer entschlossener. Auf einen Wink des Ältesten bückte sie sich, um Kizzy auf die Arme zu nehmen, und schritt beherzt mit ihr ins Wasser. Zum erstenmal seit dem Tag vor fünfundzwanzig Jahren, als sein Fuß verstümmelt worden war, versuchte Kunta zu rennen. Aber als er unter pochenden Schmerzen das Ufer erreichte, stand Bell mit Kizzy schon mitten im Wasser an der Seite des Predigers. Kunta riß den Mund auf, um Luft zu holen und zu schreien, aber da sprach der Alte schon wieder laut:
»Meine innig Geliebten, wir sind hier versammelt, um ein neues Lamm in unserm Kreis zu begrüßen! Welchen Namen hat das Kind, Schwester?«
»Kizzy, Reverend.«
»Herr …«, begann er, indem er die Linke unter Kizzys Hinterkopf legte und die Augen zusammenkniff.
»Nein!« schrie Kunta heiser dazwischen.
Bell warf den Kopf herum; ihre Augen funkelten ihn wütend an. Der Alte blickte von ihm zu ihr und wieder zu ihm. Kizzy wimmerte ängstlich. »Schsch, Kind«, tuschelte Bell. Kunta fühlte sich von feindseligen Blicken eingekreist. Spannung hing in der Luft.
Endlich brach Bell das Schweigen: »Alles in Ordnung, Reverend. Das ist nur mein Mann, der Afrikaner. Er versteht das nicht. Ich erklär’s ihm später. Nun macht schon weiter!«
Kunta, zu benommen, um zu widersprechen, sah, wie der Prediger sich achselzuckend wieder Kizzy zuwandte, die Augen schloß und anhob:
»Herr, mit dieser heiligen Taufe segne dieses Kind … Wie war noch der Name, Schwester?«
»Kizzy.«
»Segne dieses Kind Kizzy und nimm sie sicher zu Dir ins Gelobte Land!« Damit tauchte der Alte die rechte Hand ins Wasser, sprengte ein paar Tropfen in Kizzys Gesicht und
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