Wurzeln
Eingangshalle hinaus und nach Hause drängten. Es war nicht schwer, die Afrikaner herauszufinden, und jeden, den ich erwischen konnte, behelligte ich mit meinen Wortbrocken. Innerhalb von ein paar Wochen muß ich mehr als zwei Dutzend Afrikaner angehalten haben. Jeder von ihnen guckte mich schnell an, hörte mir zu – und verschwand.
Zunehmend frustriert, hatte ich ein langes Gespräch mit George Sims, mit dem zusammen ich in Henning aufgewachsen war, einem wahren Meisterdetektiv. Nach wenigen Tagen brachte mir George eine Liste von ungefähr einem Dutzend in der Universitätswelt bekannten Linguisten für afrikanische Sprachen. Einer von ihnen, dessen wissenschaftlicher Background mich schnell überzeugte, war der Belgier Dr. Jan Vansina. Nach dem Studium an der Londoner Universität, speziell der afrikanischen und orientalischen Sprachen, hatte er zunächst in Afrika gelebt und ein Buch »Die mündliche Überlieferung« verfaßt. Ich telefonierte mit Dr. Vansina, der inzwischen an der Universität von Wisconsin lehrte, und wir vereinbarten ein Treffen. An einem Mittwochvormittag flog ich nach Madison, Wisconsin, einzig und allein motiviert von meiner starken Neugierde auf ein paar fremdartige Wörter – und ohne im entferntesten ahnen zu können, was nun zu geschehen begann …
An diesem Abend saßen wir im Wohnzimmer der Vansinas, und ich zählte ihm jede Silbe auf, an die ich mich aus den Familienberichten meiner Jugend erinnern konnte – jüngst unterstützt von Cousine Georgia in Kansas City. Dr. Vansina hörte mir durchaus gespannt zu, dann begann er, seine Fragen zu stellen. Als Experte für mündlich überlieferte Geschichte war er besonders interessiert an der Art der äußerlichen Bedingungen der Wiedergabe der Erzählung über die Generationen hinweg.
Wir unterhielten uns so lange, daß er mich einlud, die Nacht in seinem Haus zu verbringen. Am nächsten Morgen sagte Dr. Vansina: »Ich wollte es erst mal überschlafen. Die Veränderung der Laute im Laufe der Generationen in Ihrer Familie kann nämlich ganz erheblich sein.«
Er sagte, er habe inzwischen mit einem Kollegen telefoniert, dem Afrikanisten Dr. Philip Curtin. Sie beide seien sicher, daß die ihm von mir überlieferten Begriffe aus der »Mandinka«-Sprache stammen müßten. Dieses Wort hatte ich nie zuvor gehört. Er klärte mich darüber auf, daß diese Sprache von dem Volk der Mandingos gesprochen werde. Dann übersetzte er versuchsweise einige von den Begriffen. Einer von ihnen bedeutete wahrscheinlich Kuh oder Vieh; ein anderer den in Westafrika heimischen Baobab-Baum. Das Wort »ko« – meinte er – konnte »kora« entsprechen, einem der ältesten Saiteninstrumente des Mandingo-Volkes, hergestellt aus einer getrockneten, ausgehöhlten Kürbishälfte, die mit Ziegenhaut bespannt und mit einem langen Steg und zweiundzwanzig Saiten mitsamt einem Spannstück versehen wird. Ein in die Sklaverei entführter Mandingo würde die »kora« wohl mit jenen Saiteninstrumenten verglichen haben können, die die amerikanischen Sklaven spielten.
Der wichtigste Begriff, den ich gehört und nun mitgebracht hatte, war »Kamby Bolongo« – wie mein Vorfahr in Gegenwart seiner Tochter Kizzy gesagt hatte, als er ihr den Mattaponi-River in Spotsylvania County zeigte. Dr. Vansina meinte, es stehe außer Zweifel, daß »bolongo« in der Mandinka-Sprache »Fluß« bedeute. Mit dem Präfix »Kamby« davor könne das auf den »Gambia-Fluß« hindeuten.
Auch von ihm hatte ich nie zuvor gehört.
Dann geschah etwas, das mich darin bestärkte – zumal noch mehr solche seltsamen Dinge geschahen –, daß »die da oben« tatsächlich über mir wachten …
Ich wurde nämlich gebeten, am Utica College, Utica, New York, im Rahmen eines Seminars einen Vortrag zu halten. Als ich zusammen mit dem Professor, der mich eingeladen hatte, den Flur entlangging, erzählte ich ihm, daß ich gerade von Washington hergeflogen und warum ich dort gewesen sei. »Gambia? Wenn ich nicht irre, hat irgend jemand kürzlich erwähnt, daß ein übrigens hervorragender Student aus diesem Land sich gerade in Hamilton aufhält.«
Das alte, sehr renommierte Hamilton College lag nur eine halbe Autostunde entfernt, in Clinton, New York. Noch bevor ich dort meine Fragen präzisiert hatte, erwiderte mir ein Professor Charles Todd: »Sie reden von Ebou Manga.« Dann studierte er die Vorlesungsliste und sagte mir, daß ich Ebou Manga in einem Kurs über Landwirtschaftsökonomie finden würde.
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