Wut
Science Fiction und Fantasy des Goldenen Zeitalters waren nach Solankas Ansicht ganz besonders geeignet gewesen, metaphysische Ideen und Romane einer breiten Leserschaft zugänglich zu machen. Mit zwanzig war sein Lieblingsroman eine Story namens Die neun Milliarden Namen Gottes , in dem ein tibetanisches Kloster, das dafür gegründet wurde, die Namen des Allmächtigen zu zählen - weil man glaubte, das sei der einzige Grund für die Existenz des Universums -, einen Spitzencomputer kauft, um den Prozeß zu beschleunigen. Gewiefte Fachleute der Industrie kommen ins Kloster, um den Mönchen zu helfen, die große Maschine in Gang zu setzen. Sie finden die ganze Idee des Namenauflistens eher lächerlich und fragen sich, wie die Mönche reagieren würden, wenn die Arbeit getan ist und das Universum weiterbesteht; also schleichen sie sich, sobald sie ihre Pflicht getan haben, leise davon. Später, auf dem Flug nach Hause, vermuten sie, daß der Computer mit seiner Aufgabe fertig sein muß. Sie sehen zum Fenster in den Nachthimmel hinaus, wo - diese letzte Zeile hat Solanka niemals vergessen - einer nach dem anderen die Sterne verloschen .
Für einen solchen Leser - und, im Kino, Bewunderer der Sci-Fi-Filme Fahrenheit 451 und Solaris - war George Lucas eine Art Antichrist und der Spielberg von Close Encounters ein Kind, das in der Sandkiste der Erwachsenen spielt, während die Terminator -Streifen die heilige Flamme weitertrugen. Und nun war er an der Reihe. In jenen unbeständigen Sommertagen arbeitete Professor Malik Solanka wie ein Besessener an der Welt der Marionettenkönige - den Puppen ebenso wie an ihren Lebensgeschichten. Sein Kopf war voll von der Story des wahnsinnigen Wissenschaftlers Akasz Kronos und seiner schönen Geliebten Zameen. New York verblaßte im Hintergrund; oder vielmehr, alles, was ihm in der Stadt zugestoßen war - jede Zufallsbegegnung, jede Zeitung, die er aufschlug, jeder Gedanke, jedes Gefühl, jeder Traum -, nährte seine Phantasie, als seien sie vorfabriziert worden, um genau in die Struktur dessen zu passen, was er bereits ersonnen hatte. Das reale Leben begann sich dem Diktat der Fiktion zu beugen, indem es genau das Rohmaterial lieferte, das er brauchte, um durch die Alchimie seiner wiedergeborenen Kunst verwandelt zu werden.
Den Namen Akasz hatte er von aakaash abgeleitet, dem Hindi-Wort für Himmel . Himmel wie in Asmaan (Urdu), wie in der armen Sky Schuyler, wie in den großen Himmelsgöttern: Uranus, Varuna, Brahma, Jahwe, Manitu. Und Kronos war der Grieche, der Kinderverschlinger, die Zeit. Zameen war die Erde, das Gegenstück des Himmels, die sich am Horizont mit dem Himmel vereint. Akasz hatte er von Anfang an klar und deutlich vor sich gesehen, den ganzen Bogen seines Lebens vor Augen gehabt. Zameen dagegen hatte ihn überrascht. In dieser Erzählung von einer ertrinkenden Welt hatte er nicht erwartet, daß eine Erdgöttin - nicht einmal eine nach Neela Mahendra geschaffene - eine zentrale Rolle übernahm. Dennoch war sie unleugbar da, und indem sie auftauchte, hatte sie die Handlung positiv verdichtet. Ihre Gegenwart schien vorbestimmt zu sein, obwohl er sie eigentlich gar nicht geplant hatte. Neela/Zameen van Rijk/Siegesgöttin: drei Versionen derselben Frau hatten seine Gedanken beschäftigt, und er erkannte, daß er schließlich die Nachfolgerin des berühmten Geschöpfes seiner Jugend gefunden hatte. »Hallo, Neela«, sagte er sich, »und nun, endlich, leb wohl, Braingirl.«
Was aber auch ein Lebwohl für seine Nachmittage mit Mila Milo bedeutete. Mila hatte sofort bemerkt, daß er sich verändert hatte, spürte es, als sie sah, wie er zu seiner Verabredung mit Neela auf der Treppe des Met aufbrach. Sie wußte, was ich wollte, bevor ich es mir selbst eingestanden hatte, mußte Solanka zugeben. Vermutlich war dort und dann alles zwischen uns zu Ende. Selbst wenn das Wunder nicht geschehen wäre, selbst wenn Neela mich nicht so absolut unvorhersehbar gewählt hätte, hatte Mila genug gesehen. Sie besitzt eine eigene, sehr reale Schönheit, und ihren Stolz, und sie denkt nicht daran, die zweite Geige zu spielen. Als er nach einer endlos überraschenden Nacht mit Neela in einem Hotelzimmer auf der anderen Seite des Parks - einer Nacht, deren größte Überraschung darin bestand, daß sie überhaupt stattfand - nach Hause kam, fand er Mila ostentativ verschlungen mit dem schönen, dummen Eddie Ford auf der Vortreppe des Nachbarhauses; Eddie, ein geborener Leibwächter,
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