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das tat, was er tun sollte – nicht aus Bequemlichkeit, sondern aus Unwissenheit und Überforderung.
Und doch: Andererseits wuchs teilweise Furcht vor dem, was die Zukunft bringen mochte, zöge ich tatsächlich um.
Vielleicht kam ich nie wieder von zu Hause los.
Möglich, dass Mom noch einen Schlaganfall erlitt. Dad konnte krank werden. Und dann war ich die daheim verwelkende Tochter, die alte Jungfer, die pflichtbewusst die Eltern pflegt, zunächst ein Jahr, dann zwei, dann drei, dann zehn Jahre, bis ihr das Leben durch die Finger geronnen war, während sie sich für andere verzehrte.
Ich kannte solche Figuren aus Büchern und Filmen, Frauen, die rundlich und menschenscheu wurden, die gleichsam wie im Mausoleum hausten und sich erst mit Ende vierzig wieder in die Welt zurückwagten, ähnlich wie aus den Höhlen kriechende und verschreckt in die Sonne blinzelnde Erdhörnchen.
Ich wollte es tun, weil ich meine Eltern zu sehr liebte, als dass ich es hätte ablehnen können.
Und gleichzeitig würde ich meine Rolle verabscheuen, weil ich meine Freiheit wollte.
Ich schaltete das Nachttischlämpchen an, kletterte aus dem Bett und tappte zu meinem Kleiderschrank. Ich redete mir Kummer geradezu herbei, wenn ich mir den Kopf über eine Zukunft zerbrach, die sich möglicherweise so niemals einstellen würde. Diese Stunden zwischen Tag und Traum, sie waren genau die Zeit, in denen sich solche Dämonen des Grübelns anschlichen und empfindsamen Seelen auflauerten – die Zeit im Übrigen, in denen ich mir mit allergrößter Wahrscheinlichkeit Sorgen über meine Zähne machte –, und daher war Ablenkung die beste Medizin.
Genau wie mein Zimmer war mein Kleiderschrank ein Horrorkabinett aus den späten achtziger und frühen neunziger Jahren. Er enthielt Klamotten, die zwar zu hübsch zum Wegwerfen, doch gleichzeitig zu scheußlich zum Tragen waren, selbst in unbenutztem Zustand. Auf der Suche nach textilem Strandgut buddelte ich mich durch sie hindurch.
Ganz hinten fand sich ein im Discount erstandener Rock aus roter Waschseide. Gar nicht so übel. Ich streifte mein Nachthemd ab und den Rock über, und als ich ihn über den Po zog, fühlte ich deutlich, wie rissig und porös das Gummiband im Bündchen geworden war. Der in der Taille ausgeleierte Rock fiel mir glatt von den Hüften und ließ mich schlanker erscheinen.
Ich betrachtete mich im Spiegel innen an der Kleiderschranktür und verzog gequält das Gesicht. Der alte Rock reichte bis an die so genannte Queen-Elizabeth-Grenze, nämlich bis ans Knie. Er hatte linksversetzte Falten, die sich nie wieder ausbügeln ließen, und man konnte sie auch nicht auftrennen, denn dann sah man die ausgeblichenen Stellen.
Ausschuss. Oder Flickreste, obschon ich über ganze Schachteln voll solcher Lappen verfügte, die ich doch nie brauchte.
Ich stöberte weiter und stieß auf ein Paar alte Jeans. Calvin Klein.
An diese Jeans konnte ich mich gut erinnern. Ich hatte sie geradezu geliebt, hatte geglaubt, mein Po wirke in ihnen kleiner, was sich mit Levis nie erreichen ließ. Die Frauen, die so schlanke und fettpolsterfreie Oberschenkel hatten, dass Levis ihnen schmeichelten, die hatte ich stets beneidet, denn bei denen saßen die Jeans bequem und leger und nicht wie eine dunkelblaue Wurstpelle. Einigen, so schien es, standen Jeans eben von Natur aus, anderen hingegen nicht.
Mir jedenfalls standen sie nicht. Mich kleidete Maßgeschneidertes aus Schurwolle vorteilhafter, vorzugsweise in gedeckten Tönen, weil die eine zierlichere Linie erzeugten. Keine aufgesetzten Taschen, durch die meine Schenkel aufgebläht wirkten, keine Falten, die das Bäuchlein rundlich hervorhoben, kein Rock- oder Hosenbund, über dem sich ein Schwabbelwulst bildete.
Ich stieg in die Jeans, wobei ich mit bloßen Füßen auf und nieder hopste in dem Bemühen, die Hüften hineinzuquetschen. Ich sah in den Spiegel und auf die klaffende, v-förmige Fläche aus Haut und Höschen, die der offene Reißverschluss bloßlegte.
Größer war ich zwar nicht geworden, seit ich die Jeans zuletzt getragen hatte, doch mit Sicherheit in die Breite gegangen.
Einmal, so erinnerte ich mich, war eine von Moms ehemaligen Freundinnen zu Besuch gekommen, und man hatte sich gemeinsam alte Fotos angeschaut. Alle hatten gelacht, als sie sahen, wie dünn sie damals gewesen waren und wie sie seinerzeit exakt das Gegenteil geglaubt hatten. Nun war die Reihe an mir, es ganz genau so zu machen und mich gleichfalls zu fragen, ob ich heute
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