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Xeelee 1: Das Floss

Xeelee 1: Das Floss

Titel: Xeelee 1: Das Floss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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ernst. »Also drückt der Baum gegen die Luft, indem er sich schneller oder langsamer dreht, und er kann Schwerkraftquellen ausweichen oder sich auf das Licht zubewegen.«
    »Richtig. Die Kunst des Piloten besteht darin, eine Rauchwolke zu erzeugen, die das Licht nicht durchläßt, und so den Flug des Baumes zu steuern.«
    Rees runzelte die Stirn, seine Augen blickten in die Ferne. »Aber was ich nicht verstehe, ist, wie der Baum seine Rotationsgeschwindigkeit ändern kann.«
    Wieder war Pallis überrascht. »Du stellst kluge Fragen«, sagte er langsam. »Ich will versuchen, es dir zu erklären. Der Stamm ist ein hohler Zylinder; in ihm befindet sich ein anderer, solider Zylinder, bole genannt, der in einer Vakuumkammer aufgehängt ist. Der Stamm und der Rest des Baumes bestehen aus einem leichten, feinfaserigen Holz; aber der bole ist eine Masse von wesentlich kompakterem Material, und die Vakuumkammer ist mit Streben und Rippen verstärkt, damit sie nicht zusammenfällt. Und der bole dreht sich in seiner Kammer. Muskelähnliche Fasern bewirken, daß er sich schneller dreht als ein Skitter.
    Also – wenn der Baum sich schneller drehen will, bremst er den bole ein wenig ab, und die Bewegungsenergie des bole überträgt sich auf den Baum. Und wenn der Baum langsamer werden will, dann ist es, als ob er etwas von seiner Rotationsgeschwindigkeit an den bole zurückgeben würde.« Er rang nach Worten, um den Sachverhalt klarer auszudrücken; vage, halbverstandene Bruchstücke aus naturwissenschaftlichen Vorlesungen schossen ihm durch den Kopf: Trägheitsmoment, Erhaltung der Winkelgeschwindigkeit…
    Mit einem Achselzucken gab er seine Bemühungen auf. »Besser kann ich es nicht erklären. Hast du es verstanden?«
    Rees nickte. »Ich glaube schon.« Merkwürdigerweise schien er mit Pallis’ Antwort zufrieden zu sein; es war ein Blick, der den Piloten an die Wissenschaftler erinnerte, mit denen er zusammengearbeitet hatte, ein Blick, der die Freude darüber ausdrückte, die Funktionsweise eines Mechanismus verstanden zu haben.
    Vom Rand des Baumes beobachtete Gover sie mißmutig.
    Pallis ging langsam zurück zu seinem Arbeitsplatz am Stamm. Er fragte sich, wieviel Bildung ein durchschnittlicher Bergmann mitbekam. Er bezweifelte, daß Rees auch nur lesen und schreiben konnte. Zweifellos wurde jedes Kind, sobald es stark genug war, zu muskelstählender Knochenarbeit in der Gießerei oder auf der brüchigen Oberfläche des Sterns herangezogen…
    Und es wurde durch die ökonomischen Verhältnisse im Nebel dazu gezwungen, erinnerte er sich nachdrücklich; wirtschaftliche Verhältnisse, die er – Pallis – aufrechtzuerhalten half.
    Er schüttelte betrübt den Kopf. Pallis hatte niemals die auf dem Floß verbreitete Ansicht akzeptiert, daß die Mineure eine Art Untermenschen waren, die nur für die Schufterei taugten, die sie auszuhalten hatten. Welche Lebenserwartung hatten die Bergleute überhaupt? Dreißigtausend Schichten? Oder vielleicht noch weniger? Würde Rees lange genug leben, um zu verstehen, was ›Winkelgeschwindigkeit‹ war? Welch einen tollen Waldläufer er abgeben würde… oder, wie er sich mit Bedauern eingestand, vielleicht einen noch besseren Wissenschaftler.
    Ein vager Plan begann in seinem Kopf Gestalt anzunehmen.
    Rees kam zum Stamm und nahm die Ration in Empfang, die es zu jedem Schichtende gab. Der junge Bergmann suchte geistesabwesend den leeren Himmel ab. Während der Baum zum Floß emporstieg, weg von dem Kern und auf den Rand des Nebels zu, wurde die Luft merklich heller.
    Ein entferntes Geräusch überlagerte das Seufzen des Windes im Geäst; eine dissonante, laute und unheimliche Tonfolge.
    Rees sah Pallis fragend an. Der Baumpilot lächelte. »Das ist der Gesang eines Wales.« Rees schaute sich eifrig um, aber Pallis meinte nur: »Ich würde mir darüber keine Gedanken machen. Das Biest könnte kilometerweit weg sein…« Der Pilot betrachtete Rees nachdenklich. »Rees, etwas hast du mir noch nicht gesagt. Du bist ein blinder Passagier, stimmt’s?« Aber du hast doch mit Sicherheit keine Vorstellung davon, wie es auf dem Floß aussieht. Also… warum hast du es dann getan? Wovor bist du weggelaufen?
    Rees’ Augenbrauen wölbten sich, als er sich überlegte, was er auf die Frage antworten sollte. »Ich bin vor gar nichts weggelaufen, Pilot. Das Bergwerk ist ein rauher Ort, aber es war mein Zuhause. Nein. Ich bin abgehauen, um die Antwort zu finden.«
    »Die Antwort? Worauf?«
    »Die Antwort

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