Xeelee 1: Das Floss
Decker an der Wandung.
Gelächter kam auf.
»Glaubst du nicht auch, daß das Verschwendung wäre?« sinnierte Decker laut. »Du – Rees, du bist das doch? – wir wollten dich hier behalten. Wir brauchen kräftige Kerle; Arbeit gibt’s genug. Jetzt haben wir durch deine Blödheit zu wenig Leute… Ich sag dir was: Du. Der Offizier.« Decker winkte ihn zu sich. »Komm runter und geh zu den anderen Feiglingen dort drüben.« Ein mißbilligendes Grummeln erhob sich; Decker wartete, bis es abgeflaut war und meinte dann sanft: »Das ist natürlich nur mein persönlicher Vorschlag. Möchte sich jemand dem Willen des Komitees widersetzen?«
Natürlich nicht. Pallis grinste.
»Komm, Bursche.«
Doav drehte sich unsicher zu Rees herum. Der nickte und schob ihn behutsam zur Plattform. Der Offizier balancierte unbeholfen über den Balken und stieg auf das Deck hinab. Als er sich durch die Menge zu den Wissenschaftlern vorarbeitete, mußte er ein Spießrutenlaufen mit leichten Schlägen und Tritten über sich ergehen lassen.
Rees war nun allein.
»Was die Minenratte angeht…« Der Pöbel grölte in froher Erwartung. Mit einer Handbewegung sorgte Decker für Ruhe. »Was ihn betrifft, so kann ich mir ein viel härteres Schicksal vorstellen, als ihn von dieser Plattform springen zu lassen. Wir schicken ihn zum Gürtel zurück! Wenn er es mit den Mineuren zu tun bekommt, die er im Stich gelassen hat, wird er seinen ganzen Heldenmut brau…«
Seine Worte gingen in einem Beifallssturm unter; Hände wurden ausgestreckt und rissen Rees von dem Balken.
»Decker, wenn es dir etwas bedeuten sollte: Ich danke dir«, murmelte Pallis.
Decker ignorierte seine Worte. »Gut, Pilot; wirst du mit deinem Baum den vom Komitee angewiesenen Kurs nehmen?«
Pallis verschränkte die Arme. »Ich bin Pilot, Decker. Und kein Gefängniswärter.«
Decker hob die Augenbrauen, wodurch sich die Narben auf seinen Wangen weißlich dehnten. »Natürlich ist es deine Sache; du bist ein Bürger des Freien Floßes. Doch wenn du diese aufwieglerischen Wissenschaftler nicht mitnimmst, weiß ich nicht, wie wir sie ernähren sollen.« Er seufzte mit gespielter Besorgnis. »Im Gürtel haben sie zumindest eine Chance. Aber hier – die Zeiten sind hart, weißt du. Am humansten wäre es noch, sie gleich jetzt über diese Kante gehen zu lassen.« Er sah Pallis mit ausdruckslosen schwarzen Augen an. »Was meinst du, Pilot. Sollen meine jungen Freunde mal ein wenig Sport treiben?«
Pallis spürte, wie er zitterte. »Du bist ein Bastard, Decker.«
Decker lachte leise.
Es wurde Zeit für die Wissenschaftler, an Bord zu gehen. Pallis inspizierte noch einmal den Baum und kontrollierte die an das konturierte Holz angeflanschten Versorgungsmodule.
Zwei Männer vom Komitee zwängten sich ganz unvornehm durch die Blätter, wobei sie ein Seil hinter sich herzogen. Der eine, jung, groß und schon mit Glatze, nickte ihm zu. »Guten Flug, Pilot.«
Pallis schaute nur kalt und würdigte ihn keiner Antwort.
Die beiden Männer suchten auf den Ästen festen Tritt, spuckten in die Hände und begannen am Seil zu ziehen. Schließlich kam durch das Laub ein Bündel aus schmutzigem Tuch zum Vorschein. Die zwei kippten das Bündel auf eine Seite, lösten das Seil und schickten es durch die Blätter zurück.
Langsam wickelte sich das Bündel auf. Pallis ging zu ihm hinüber.
Das Bündel war ein Mensch, ein an Händen und Füßen gefesselter Mann: ein Wissenschaftler, wie aus den Überresten der purpurroten Abzeichen an der zerschlissenen Kleidung geschlossen werden konnte. Er versuchte sich aufzusetzen und ruckte dabei mit seinen gefesselten Armen. Pallis bückte sich, nahm den Mann am Kragen und riß ihn in die Höhe. Der Wissenschaftler schaute ihn mit einem Anflug von Dankbarkeit an; durch die Schmutzschicht auf seinem Gesicht konnte Pallis Cipse identifizieren, den früheren Chefnavigator.
Die Männer vom Komitee lehnten derweil am Baumstamm, warteten offensichtlich darauf, daß der nächste ›Passagier‹ an ihr Seil geknüpft wurde. Pallis ließ Cipse stehen und ging zu ihnen hinüber. Er packte den Glatzkopf an der Schulter und drehte ihn mit einem kräftigen Ruck zu sich herum.
Der Kahle beäugte ihn unsicher. »Was gibt’s, Pilot?«
Mit zusammengebissenen Zähnen sagte Pallis: »Es interessiert mich nicht im geringsten, was dort unten passiert; aber auf meinen Bäumen bin ich der Kommandant, und deshalb sage ich, daß diese Leute meinen Baum mit Würde betreten.«
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