Xeelee 1: Das Floss
Er war seit seinem ›Tausend-Schichten-Tanz‹ nicht mehr hier gewesen. Er erinnerte sich an die glitzernden Kostüme, das Lachen, das Trinken, seine Schüchternheit.
Heute würde hier keine Party stattfinden.
Am oberen Ende der Treppe blockierten zwei junge Männer den Weg. Sie hatten ungefähr Pallis’ Größe, waren aber etwas jünger. Dumpfe Feindseligkeit spiegelte sich in ihren Gesichtern.
»Ich bin Pallis«, stellte er sich vor. »Waldläufer. Ich will zum Komitee.«
Sie musterten ihn mißtrauisch.
Pallis seufzte. »Und wenn ihr zwei Affenköpfe mir den Weg freigebt, kann ich meinen Auftrag erfüllen.«
Der kleinere der beiden, ein untersetzter Glatzkopf, machte einen Schritt auf ihn zu. Pallis sah, daß er einen Holzknüppel bei sich trug. »Hör zu…«, grinste Pallis und ließ seine Muskeln unter dem Hemd spielen.
»Ist okay, Seel«, wiegelte der größere Türsteher ab. »Er wird erwartet.«
Seel knurrte zuerst und zischte dann: »Wir sehen uns noch, du Witzbold.«
»Soll mir recht sein«, entgegnete Pallis mit einem noch breiteren Grinsen.
Er schob sich an den Wächtern vorbei und näherte sich dem Plattformaufbau, wobei er sich selbst über seine Handlungen wunderte. Warum, zum Beispiel, hatte er die beiden eben provoziert? War Gewalt, das Zuschlagen mit der Faust etwa eine so attraktive Form der Entspannung?
Eine passende Antwort in diesen unruhigen Zeiten, Pallis.
Er bewegte sich langsam auf den Mittelpunkt der Plattform zu. Der Ort hatte sich im Vergleich zu früher kaum verändert. Lebensmittelkartons, noch mindestens halb voll, lagen über das Deck verstreut. Beim Anblick des verfaulenden Zeugs dachte Pallis mit aufkeimendem Zorn an das verhungernde Kind keine fünfhundert Meter entfernt.
Die Plattform war mit Ausstellungstischen vollgestellt, auf denen sich Trophäen verschiedener Art befanden: Fotografien, Uniformen, jede Menge goldener Schulterstücke und ein Orbitalmodell, das er, wie Pallis sich erinnerte, mal in Hollerbachs Büro gesehen hatte. Außerdem gab es noch Exponate wie Bücher, Diagramme, Tabellen und stapelweise Papier. Ausweislich dieser Gegenstände war es klar, daß die noch existierende Regierung des Floßes hier ihren Sitz haben mußte.
Pallis grinste säuerlich. Kein Zweifel, es war eine große symbolische Geste gewesen, dem korrupten Zentrum des Floßes die Kontrolle zu entziehen und sie hierher, zu diesem spektakulären Fluchtpunkt, zu verlegen… Doch was, wenn es mal auf diesen ganzen Papierkram regnen würde?
Allerdings schienen solche Nebensächlichkeiten im Moment für niemanden allzu relevant zu sein, und das galt auch für den Regierungsapparat überhaupt. Außer einer Gruppe verschüchterter, ungepflegter Wissenschaftler, die sich im Mittelpunkt des Decks zusammengedrängt hatte, konzentrierte sich die Besatzung der Plattform in einem engen Bereich an der dem Nebel zugewandten Wand. Pallis kam langsam näher. Die neuen Herrscher des Floßes, überwiegend junge Männer, ließen lachend Schnapsflaschen herumgehen, wobei sie auf irgendeine Attraktion dicht an der Wand starrten.
»Hallo, Baumpilot.« Die Stimme klang überheblich und kam ihm unangenehm bekannt vor. Pallis drehte sich um. Da stand Gover, die Hände in die Seiten gestemmt und ein Grinsen auf seinem hageren Gesicht.
»Gover. Welche Überraschung. Ich hätte wissen müssen, daß du hier bist. Du weißt, was sie über dich sagen, eh?«
Govers Grinsen verschwand.
»Scheiße schwimmt immer oben.«
Govers Unterlippe zitterte. »Du solltest aufpassen, Pallis«, sagte er schrill. »Die Dinge auf dem Floß haben sich geändert.«
»Willst du mir drohen, Gover?« fragte Pallis amüsiert.
Lange Sekunden hielt der jüngere Mann seinem Blick stand und ließ ihn dann sinken – nur für einen Sekundenbruchteil, aber lange genug für Pallis, um zu wissen, daß er gewonnen hatte.
Seine Muskeln entspannten sich, und das Leuchten seines winzigen Triumphes verschwand schnell wieder. Zwei potentielle Faustkämpfe in ebenso vielen Minuten?
Ein unglaublicher Vorgang.
»Du hast reichlich lange gebraucht, um herzukommen«, monierte Gover.
Pallis ließ seinen Blick schweifen. »Ich rede nicht mit der Marionette, wenn ich ihren Meister kenne. Sag Decker, daß ich hier bin.«
Die Frustration ließ Gover rot werden. »Decker hat nicht das Kommando. Wir arbeiten nicht auf diese Art…«
»Natürlich nicht«, erwiderte Pallis gelangweilt. »Hol ihn einfach. Alles klar?« Dann wandte er seine ungeteilte
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