Xeelee 1: Das Floss
Hütte.
»Denk nicht mehr darüber nach«, empfahl er ihm. Er ließ ein Stück Fleisch in seinem Mund verschwinden, zerkaute das Zeug und schluckte es hinunter. »Hast du gesehen? Ist nur Fleisch. Organisches Gewebe. Protein. Entweder du ißt es, oder du stirbst und…«
Rees nahm eine Scheibe Fleisch in die Hand und stellte sich vor, wie er es zum Mund führte, hineinbiß und es schließlich hinunterschluckte.
Er konnte es einfach nicht. Er warf das Stück in eine Ecke der Hütte und wandte sich ab. Nach kurzer Zeit hörte er die Schritte von Gord. Der Ingenieur durchquerte den Raum und hob das Stück Fleisch auf.
So vergingen die Schichten, und Rees spürte seine Kräfte schwinden. Als er mit einer Hand über seine zerlumpte Uniform strich, merkte er, daß die Rippen unter der Haut hervorstanden, und sein Kopf schien anzuschwellen.
Der Gesang der Boneys kam ihm wie das Pulsieren von Blut vor.
Schließlich legte Gord eine Hand auf seine Schulter. Rees setzte sich auf. Ihm war schwindlig. »Was ist los?«
»Der Wal«, erklärte Gord mit einem Anflug von Erregung. »Sie bereiten sich auf die Jagd vor. Du mußt mitkommen und dir das ansehen, Rees; selbst unter diesen Umständen ist es ein unglaublicher Anblick.«
Rees stand vorsichtig auf und folgte Gord aus der Hütte.
Als er sich benommen umblickte, machte er die üblichen kreisförmigen Erwachsenengruppen in ihren Hütten aus. Sie sangen rhythmisch. Sogar die Kinder schienen in den Bann des bevorstehenden Ereignisses gezogen zu sein: Sie saßen in aufmerksamen Gruppen in der Nähe der Erwachsenen, sangen und wiegten sich nach besten Kräften im Rhythmus.
Gord umrundete langsam den Planetoiden. Rees folgte ihm stolpernd. Weil offenbar nun die ganze Kolonie am Singen war, vibrierte die Hautoberfläche wie ein Trommelfell.
»Was machen sie da?«
»Sie rufen den Wal. Irgendwie lockt der Gesang das Tier an.«
Verwirrt und gereizt meinte Rees: »Ich sehe keinen Wal.«
Gord hockte geduldig auf dem Boden. »Warte eine Weile, und du wirst ihn sehen.«
Rees setzte sich neben Gord und schloß die Augen. Langsam sank der Gesang in sein Bewußtsein, bis er sich im zyklischen Rhythmus wiegte; eine Stimmung der ruhigen Gelassenheit, sogar der freudigen Erwartung, schien von ihm Besitz zu ergreifen.
War dies etwa der Effekt, den die Musik auf den Wal ausüben sollte?
»Gord, woher glaubst du, daß der Begriff ›Wal‹ kommt?«
Der Ingenieur zuckte die Achseln. »Du warst doch der Wissenschaftler. Sag du es mir. Vielleicht gab es auf der Erde ein Tier mit diesem Namen.«
Rees kratzte sich an seinem bärtigen Kinn. »Ich frage mich, wie so ein Erdenwal ausgesehen haben mag…«
Gords Augen weiteten sich. »Vielleicht so«, meinte er und deutete mit dem Finger in den Himmel.
Der Wal schob sich wie eine große transparente Sonne über den Horizont aus Haut. Sein Körper war eine vielleicht fünfzig Meter durchmessende Kugel, gegen die die Knochenwelt klein wirkte; hinter seiner durchsichtigen Haut waren Organe wie große Maschinen gruppiert. Der Kopf des Wals war mit drei Kugeln besetzt, die jede den Durchmesser eines Menschen hatten. Die Art, wie sie rotierten und sich auf die Mikrowelt und die nahen Sterne richteten, erinnerte Rees unwillkürlich an Augen. Aus dem hinteren Körperende wuchsen drei mächtige Schwanzflossen; diese Halbkreise rotierten leicht und waren so groß wie der Körper selbst, mit dem sie durch einen Muskelstrang verbunden waren. Der Wal bewegte sich in freiem Fall durch die Luft, und die gerade zwanzig Meter über Rees’ Kopf hängenden Flossen fächelten seinem lachenden Gesicht kühle Luft zu. »Das ist phantastisch«, rief er.
Gord lächelte schwach.
Die immer noch singenden Boneys kamen aus ihren Hütten. Ihre Augen waren auf den Wal fixiert, und sie trugen Speere aus Knochen und Metall bei sich.
Gord beugte sich zu Rees hinüber und erklärte ihm über dem Gesang: »Manchmal werfen sie einfach Seile um die Tiere und lassen die Wale die Kolonie eine kurze Strecke aus dem Nebel ziehen. Dadurch korrigieren sie den Orbit, verstehst du. Sonst wären sie wohl schon längst in den Kern gefallen. Diese Schicht sieht es allerdings so aus, als ob sie nur Fleisch brauchen.«
Rees war verwirrt. »Wie kann man ein solches Tier denn töten?«
Gord zeigte mit dem Finger auf den Wal. »Das ist nicht schwer. Man muß nur die Haut durchlöchern. Dann verliert das Ding seine Form und fällt einfach ins Gravitationszentrum des Planetoiden. Danach
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