Xeelee 1: Das Floss
verfaulenden Fleisches.
Rees musterte das Szenario prüfend. Dann sah er in einem ›Bündel‹ Augenhöhlen…
Quids Gesicht schwebte im Dämmerlicht, eine schreckliche Maske voller Falten. »Du siehst, daß wir keine Tiere sind, Mineur«, flüsterte er. »Das sind die Öfen. Wo wir die Krankheit aus dem Fleisch brennen… Normalerweise ist es hier unten heiß genug, bei der Fäulnis und all dem; doch manchmal müssen wir Feuer entlang der Wände machen…«
Die abgehäuteten und ausgeweideten Körper umfaßten alle Altersklassen und Körpergrößen; die ›Bündel‹ bestanden aus Gliedmaßen, Torsos, Köpfen und Fingern…
Er riß den Kopf zurück. Quid grinste. Rees schloß die Augen und zwang die Galle hinunter, die in seiner Kehle brannte. »Und es gibt hier keine Verschwendung«, dozierte Quid mit Befriedigung. »Die getrocknete Haut wird in die Oberfläche eingenäht, so daß wir auf dem Fleisch unserer Vorfahren gehen…«
Rees fühlte sich, als ob die ganze groteske Miniaturwelt um ihn herum pulsierte und der Knochenwald sich in großen Schüben auf ihn zubewegte und sich wieder zurückzöge. Er atmete tief ein und ließ die Luft pfeifend durch die Nase entweichen. »Du hast mich hierher geführt, damit ich etwas zu trinken bekomme«, konstatierte Rees so gleichmütig wie möglich. »Wo gibt es was?«
Quid führte Rees zu einer Formation aus Knochen. Es war ein Arrangement aus fast intakten Wirbelsäulen, das nach Rees Beobachtung Teil einer sich verzweigenden Konstruktion aus Knochen war, die fast bis zur Oberfläche reichte. Quid berührte ein Rückgrat und zeigte einen feucht glänzenden Finger. Rees sah gründlicher hin und bemerkte die Flüssigkeit, die langsam von oben durch den Kanal aus Knochen heruntertröpfelte.
Quid preßte sein Gesicht an die Wirbelsäulen und streckte die Zunge aus, um die Flüssigkeit aufzufangen. »Abwasser von der Oberfläche«, erläuterte er. »Mit der Zeit wird es von dem gelegentlichen Regen verdünnt und durch die ganzen Schichten dort oben gefiltert. Es ist trinkbar, fast schmackhaft…« Er lachte und lud Rees mit ausladender Geste ein, sich auch zu bedienen.
Rees starrte auf das brackige Gebräu, neuerlich vor die Wahl zwischen Leben und Tod gestellt. Er versuchte die Sache analytisch zu betrachten. Vielleicht hatte der Boney recht; vielleicht würde besagter Filtermechanismus die schlimmsten Partikel zurückhalten… Schließlich war der Boney noch bei so guter Gesundheit, daß er ihm diesen Sachverhalt referieren konnte.
Er seufzte. Wenn er mehr als eine oder zwei Schichten überleben wollte, hatte er wirklich keine andere Wahl.
Er trat näher, streckte die Zunge heraus, bis sie fast die Wirbelsäule berührte und ließ die Flüssigkeit in seinen Mund träufeln. Sie schmeckte faulig, er konnte das Zeug kaum schlucken, aber er schlaffte es dennoch und setzte erneut an.
Quid lachte. Die rechteckige Hand des Boneys hielt seinen Hals umklammert und drückte Rees’ Gesicht gegen den dünnen Knochen, dessen Kanten an seinem Fleisch kratzten, und die widerliche Flüssigkeit spritzte ihm aufs Haar und in die Augen…
Mit einem Schrei des Ekels schlug Rees mit beiden Fäusten um sich. Er spürte, wie sie in lebendes Fleisch einschlugen. Mit einem gepreßten Grunzen fiel der Boney zur Seite und landete in einem splitternden Nest aus Knochen. Rees wischte sich das Gesicht ab, sprang in das Knochengewirr und machte sich an den Aufstieg zum Licht. Seine stampfenden Füße zertraten Rippen und Fingerknöchelchen. Schließlich erreichte er die Unterseite der Oberfläche, mußte aber zu seinem Erschrecken feststellen, daß er die Orientierung verloren hatte. Die Oberfläche aus Haut spannte sich über ihm wie eine weite Decke, durchgehend und ohne Licht. Mit einem erstickten Schrei grub er die Hände in das weiche Material und riß es schichtweise weg.
Dann brach er durch die Oberfläche und atmete die Luft des Nebels ein.
Rees zog sich aus dem Loch und blieb erschöpft liegen. Er sah nach oben, ins rötliche Licht der Sterne.
Rees suchte Gord auf. Der frühere Ingenieur empfing ihn ohne ein Wort, und Rees warf sich auf den Boden und fiel in einen tiefen Schlaf.
Die Schichten gingen vorbei, und Rees war noch immer bei Gord, meistens ohne etwas zu sagen. Rees zwang sich zum Trinken – er begleitete Gord sogar auf einer Tour in das Innere der kleinen Welt, um die Feldflaschen aufzufüllen – aber essen konnte er nichts. Gord musterte ihn düster im Zwielicht der
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