Xeelee 1: Das Floss
muß es nur noch schnell genug filetiert werden, damit wir nicht alle unter dem Fleisch ersticken…«
Jetzt flogen die ersten Speere. Der Gesang ging in Siegesrufe über. Der offensichtlich bedrängte Wal erhöhte die Schlagzahl der Flossen. Die Speere gingen glatt durch das transparente Fleisch oder blieben in den tieferen Gewebelagen stecken – und dann wurde unter großem Jubel ein Organ getroffen. Mit schrumpfender Haut taumelte der Wal der Oberfläche der Mikrowelt entgegen. Eine mächtige Wand aus Fleisch schob sich keine drei Meter über Rees’ Kopf vorbei.
»Was sagst du dazu, Mineur?« Quid stand mit einem Speer in der Hand bei ihm. Der Boney grinste. »Das ist die richtige Art zu leben, wie? Besser als in den Eingeweiden eines toten Sterns herumzukratzen…«
Weitere Speere flogen durch die Luft, bewegten sich mit zunehmender Präzision durch das kombinierte Schwerefeld des Planetoiden und des Wals und fanden weiche Ziele im Körper des Tieres.
»Quid, wie können sie so genau zielen?«
»Ganz einfach. Stell dir den Planeten als einen Brocken unter dir vor. Und den Wal als einen anderen kleinen Brocken irgendwo dort…« Er deutete mit dem Finger die Richtung an. »In die Nähe seines Schwerpunkts. Von dort kommt die Anziehung, richtig? Dann brauchst du dir nur noch die Flugbahn vorzustellen, die dein Speer nehmen soll, und – ab dafür!«
Rees kratzte sich am Kopf und fragte sich, wie wohl Hollerbach auf diese Verballhornung der Orbitalmechanik reagiert hätte. Doch für die auf ihrer kleinen Welt gefangenen Boneys war die Entwicklung solcher Wurftechniken einfach überlebensnotwendig.
Weitere Speere flogen weiter, bis ein Entkommen für den Wal nicht mehr möglich schien. Sein Bauch berührte fast die Dächer der Kolonie. Männer und Frauen holten große Messer hervor, und bald würde das Schlachten beginnen. Rees fragte sich in seinem durch den Hunger verursachten Dämmerzustand, ob das Walblut wohl anders als Menschenblut riechen würde…
Und plötzlich rannte er los, fast ohne sich dessen bewußt zu sein. Mit einer leichten Bewegung schwang er sich auf das Dach einer der solideren Hütten – hätte er sich ohne seine Gewichtsabnahme so geschmeidig bewegen können? – und blickte stehend nach oben, zu dem faltigen, halbdurchsichtigen Dach aus Fleisch, das über ihm vorbeiglitt. Es war noch immer nicht in seiner Reichweite; und dann kam eine knapp einen Meter lange Hautfalte wie ein fallender Vorhang auf ihn zu. Er sprang und packte mit beiden Händen zu. Seine Finger glitten über verknittertes, trockenes Fleisch. Er suchte nach einem festen Halt und glaubte für eine panikerfüllte Sekunde, wieder zu fallen; und dann, seine Arme bis zu den Ellbogen in dem breiigen Fleisch, ergriffen seine Finger einen Schaft aus festerer Substanz, und er zog sich höher auf den Körper des Wals. Es gelang ihm, seine Füße hinaufzuschwingen und sie an der fleischigen Decke zu verankern. Und so segelte er, mit dem Kopf nach unten, über die Kolonie der Boneys hinweg.
Diese Enteraktion schien dem Wal neue Energie zu verleihen. Seine Flossen peitschten mit frischem Elan durch die Luft, und das Tier hob mit solchen Verrenkungen von der Oberfläche ab, daß Rees seinen labilen Halt zu verlieren drohte.
Zornige Rufe wurden ihm nachgeschickt, und ein Speer fuhr an ihm vorbei ins weiche Fleisch. Quid und die anderen Boneys schüttelten wütend die Fäuste. Rees sah, wie Gord mit bleichem, tränenüberströmten Gesicht nach oben blickte.
Der Wal setzte seinen Steigflug fort, und die Kolonie verwandelte sich von einer strukturierten Landschaft in eine kleine braune Kugel, die verloren in der Luft hing. Die Stimmen der Menschen gingen langsam im Rauschen des Windes unter. Die warme Haut des Wals pulsierte im Rhythmus seiner gleichmäßigen Bewegungen; und Rees war allein.
10
DAS GROSSE TIER HATTE SEINE PEINIGER weit hinter sich gelassen und bewegte sich vorsichtig durch die Luft. Die Flossen drehten sich mit verhaltener Kraft, und der mächtige Körper erzitterte. Es schien, als ob der Wal dem dumpfen Schmerz der Stichwunden nachspürte, die ihm zugefügt worden waren. Durch das durchsichtige Körpergewebe konnte Rees die ganz nach hinten gedrehten drei Augen sehen, als wollte der Wal sein eigenes Inneres inspizieren.
Es hörte sich an wie das Rauschen des Windes, als die Flossen plötzlich ihre Taktfrequenz erhöhten. Der Wal schoß vorwärts und war bald außerhalb des Wirkungsbereichs der Gravitation, die
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