Xeelee 1: Das Floss
kriechen.
Alarmiert sah Pallis nach unten.
Die harte Oberfläche eines Patrouillenfahrzeugs der Mineure kam auf ihn zugeflogen; zwei Bergleute hingen an einem über das Metall gespannten Netz. Das Eisen raste wie eine Wand auf ihn zu…
Er hatte einen blutigen Geschmack im Mund.
Pallis öffnete die Augen. Er lag auf dem Rücken, offensichtlich auf dem Fluggerät der Mineure. Durch sein Hemd spürte er die Knoten des Netzes. Er versuchte sich aufzusetzen – und war nicht übermäßig überrascht, daß er mit Händen und Füßen an das Netz gefesselt war. Er entspannte sich und versuchte, nicht den Anschein zu erwecken, eine Bedrohung darzustellen.
Ein breites, bärtiges Gesicht erschien dicht über ihm. »Der hier ist in Ordnung, Jame; er ist mit dem Kopf aufgekommen…«
»Besten Dank«, schnappte Pallis. »Wo ist Jaen?«
»Ich bin hier«, rief sie von außerhalb seines Blickfeldes.
»Ist bei dir alles klar?«
»Es wäre klarer, wenn diese Trottel es zulassen würden, daß ich mich hinsetze.«
Pallis lachte – und zuckte zusammen, als ein Schmerz durch Mund und Wangen jagte. Offenbar würde er seine Kollektion von Narben um einige neue Exemplare ergänzen müssen. Jetzt tauchte kopfüber in Pallis’ Blickfeld ein zweites Gesicht auf. Pallis kniff die Augen zusammen. »An dich erinnere ich mich. Ich glaube, deinen Namen schon gehört zu haben. Du bist Jame aus der Quartiermeisterei.«
»Hallo, Pallis«, meinte Jame brummig.
»Bist du immer noch so ein Bierpanscher, Barkeeper?«
»Du bist ein höllisches Risiko eingegangen, Baum-Pilot. Wir hätten dich abstürzen lassen sollen«, grummelte Jame…
»Habt ihr aber nicht«, erwiderte Pallis grinsend und entspannte sich.
Während der kurzen Reise mit den Bergleuten zum Gürtel erinnerte sich Pallis wieder an das Gefühl des Wunders, mit dem er Rees’ Geschichte zum erstenmal gehört hatte. In seiner Eigenschaft als Freund des zurückgekehrten Verbannten hatte er mit Rees, Decker und Hollerbach in dem Büro des alten Wissenschaftlers zusammengesessen und den Blick auf die simplen Handbewegungen geheftet, mit denen Rees bestimmte Aspekte seiner Abenteuer zu unterlegen pflegte.
Es war so phantastisch, der Stoff, aus dem Legenden sind: Die Boneys und ihre Knochenwelt, die Wale, der Gesang… doch Rees’ Ton war trocken, faktenorientiert und völlig überzeugend, und er hatte alle Fragen von Hollerbach mit Verve beantwortet.
Schließlich kam Rees zu der Beschreibung der großen Walwanderung. »Aber natürlich«, hatte Hollerbach gekeucht. »Ha! Es ist ja so offensichtlich.« Und dann drosch er mit der Faust auf den Schreibtisch.
Der aus seiner Verzauberung gerissene Decker sprang auf. »Du blöder alter Furz«, grollte er. »Was ist so offensichtlich?«
»So viele Teile passen zusammen. Internebulare Wanderungen…! Natürlich; wir hätten darauf kommen müssen.« Hollerbach erhob sich von seinem Stuhl und begann im Raum umherzustiefeln, wobei er eine knochige Faust auf die Handfläche klatschte.
»Es reicht jetzt mit der Schauspielerei, Wissenschaftler«, sagte Decker. »Werd deutlicher.«
»Zunächst der Gesang der Wale: Diese alten Spekulationen, die unser Held jetzt bestätigt hat. Sag mir nur eins: Warum sollten die Wale sonst über ein so großes Gehirn verfügen, eine solch signifikante Intelligenz und eine derart differenzierte Kommunikation? Wenn man es durchdenkt, sind sie eigentlich nur Herdentiere, und – aufgrund ihrer reinen Größe – weitestgehend sicher vor Räubern, was Rees ja auch bestätigt hat. Sicher brauchen sie kaum mehr zu tun, als durch die Atmosphäre zu kreuzen und sich von dem zu ernähren, was so durch die Luft fliegt. Dazu gehört kaum mehr Intelligenz als die eines, sagen wir, Baumes, um diesem Schatten auszuweichen und die Gravitationsquelle zu umgehen…«
Pallis rieb sich die Nasenwurzel. »Aber ein Baum würde nie in den Kern fliegen – jedenfalls nicht freiwillig. Willst du das damit sagen?«
»Exakt, Baum-Pilot. Sich dem Streß eines solchen Gezeitenwechsels und einer so gefährlichen Strahlung auszusetzen, erfordert eine größere Gehirnkapazität, den Weitblick, die elementaren Instinkte abzublocken, eine hochstrukturierte Kommunikation – vielleicht sogar auf telepathischer Basis –, so daß jeder nachfolgenden Generation das richtige Verhalten weitervererbt wird.«
Rees lächelte. »Also muß ein Wal seine Flugbahn um den Kern ganz präzise festlegen.«
»Natürlich, natürlich.«
Deckers Gesicht
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