Xeelee 3: Ring
Louise. »Es weist die Orbitalmerkmale eines langperiodischen Kometen auf – aber keines der physikalischen Merkmale. In der Morphologie entspricht es eher einem Kuiper-Objekt wie Port Sol. Aber dann müßte es auch einen annähernd kreisförmigen Orbit haben…«
Seilspinnerin schaute aus ihrem Käfig auf die kleine dunkle Welt hinab und fragte sich, was dort unten wohl noch leben mochte.
Hier und da glitzerte Metall in Vertiefungen des Eises.
»Artefakte«, erläuterte Louise. »Kannst du sie sehen, Seilspinnerin? Artefakte, über die ganze Oberfläche verteilt.«
»Menschlich?«
»Würde ich schon sagen. Aber ich kann nichts identifizieren. Und ich bezweifele auch, daß noch viel davon funktioniert…
Ich führe ein paar Radarscans durch. Es gibt dort im Inneren Hunderte von Kammern. Und unsere Boje ist auch irgendwo da drinnen: Sie sendet noch immer auf allen Frequenzen, mit einer Spitze im Mikrowellenbereich… Weiß der Geier, woher sie ihre Energie bezieht.«
»Ist diese Eiskugel bewohnt? Ist dort jemand?«
»Ich weiß nicht.« Seilspinnerin hörte das Zögern in Louises Stimme. »Ich werde wohl runter müssen, um das festzustellen.«
Die kleinen Düsen des Beibootes feuerten bei Louises Abstieg über der unregelmäßigen Oberfläche der Welt.
Seilspinnerin sah zu; das Boot war der einzige bewegliche Gegenstand in ihrem ganzen Universum.
»Ich bin jetzt dicht über der Oberfläche«, meldete Louise. »Ich behalte die Flughöhe bei. Sie haben die Oberfläche sicher ziemlich ruiniert. Ich glaube, daß diese Artefakte Sektionen von Schiffen sind, Seilspinnerin. Ich kann im Grunde kaum etwas zuordnen – ein Großteil dieser Technologie muß der unseren um Zehntausende von Jahren voraus sein… Verdammt, ich wollte, wir hätten die Zeit, den ganzen Kram hier zu untersuchen.
Aber wenigstens ist es menschlichen Ursprungs.« Ihre Stimme klang angespannt. »Die ersten Spuren der Menschheit, die wir in dem ganzen verdammten System gefunden haben, Seilspinnerin.
Ich glaube, daß hier Menschen gelandet sind und ihre Schiffe ausgeschlachtet haben, um sich im Innern einzurichten.
Ich werde jetzt landen. Ich sehe etwas, das wie ein Raumhafen aussieht.«
Louise fand keine Möglichkeit, den großen, lukenartigen Einstieg zum Innern zu öffnen. Statt dessen mußte sie eine Kunststoffblase über dem Eingang errichten, die als Luftschleuse diente, und sich in der Mikrogravitation in den Boden graben.
»In Ordnung, ich bin drin.« Ihr Atem ging kratzig und flach – fast als ob sie flüsterte, dachte Seilspinnerin. »Es ist dunkel hier, Seilspinnerin. Ich habe Lampen; ich werde beim Weitergehen eine Spur legen.«
Die in ihrem Käfig zuhörende Seilspinnerin betete, daß Louise dort unten nichts zustieß. Falls so etwas eintrat, was konnte sie – Seilspinnerin – dann tun? Würde sie den Mut aufbringen, auch nur einen Landungsversuch auf der kleinen Eiswelt zu unternehmen?
Zweifel überflutete sie, ein Gefühl der Unzulänglichkeit, der Hilflosigkeit…
Du wirst es schon schaffen, Seilspinnerin.
Wieder diese trockene, diffuse Stimme.
Seltsamerweise schienen ihre Ängste nachzulassen. Sie schaute sich um; natürlich war sie allein in der Kanzel, und der Nightfighter hing passiv über der eisigen Miniaturwelt. Aber dennoch – erneut – hatte sie den Eindruck, daß etwas hier bei ihr war. Sie konnte ihn oder sie nicht sehen – aber irgendwie wußte sie, daß sie sich nicht zu fürchten brauchte; sie spürte eine massive, tröstliche Präsenz ähnlich der ihres verschollenen Vaters.
Aber trotzdem – Stimmen? Was, zum Teufel, geht in meinem Kopf vor?
»…jede Menge Kammern«, meldete Louise etwas atemlos. »Es handelt sich um Quader, die aus dem Eis gefräst und mit Metall und Kunststoff ausgekleidet wurden. Ein bißchen eng… Es gibt hier Luft, aber sie ist stickig; ich werde den Anzug nicht ablegen. Das war definitiv eine menschliche Kolonie, Seilspinnerin. Aber alles ist – so ordentlich. Sauber; ein geregelter Rückzug.
Ich schätze, daß ihr Sterben lange gedauert hat. Sie hatten Zeit, hinter sich aufzuräumen – konnten beim Rückzug vielleicht sogar noch ihre Toten begraben. Ich vermute, daß sie mit abnehmender Anzahl tiefer gingen, auf den Mittelpunkt der Welt zu… Es hat eine gewisse Würde, meinst du nicht auch? Es gibt keine Anzeichen von Panik oder Konflikten. Ich frage mich, wie wir uns unter den gleichen Umständen verhalten würden. Seilspinnerin, ich gehe jetzt weiter.«
Später:
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