Xeelee 3: Ring
baumelten, und musterte den Tempel mit schmalen Augen. »Nun, wenn wir die Blockade nicht durchbrechen können, werden wir Schwierigkeiten bekommen. Zum einen sind sie uns zahlenmäßig überlegen. Und zum anderen haben ihre Armbrüste eine viel größere Reichweite als diese Blasrohre von Froschfängerin und ihren Freunden…«
»Kann sein«, sagte Froschfängerin bedächtig, »darüber habe ich auch schon nachgedacht. Ich meine, die Planer hätten uns ja bereits töten können, als wir noch über dem Deck aufgereiht waren. Richtig?«
Mark runzelte die Stirn. »Sie haben über uns hinweggeschossen. Vielleicht wollten sie uns nur warnen.«
»Kann sein.« Froschfängerin nickte grimmig. »Vielleicht haben sie aber auch wirklich versucht, uns zu treffen – konnten es aber nicht. Sieh mal her.«
Sie zog einen Pfeil aus ihrer Hüfttasche und führte das Blasrohr an den Mund. Sie spie den Pfeil harmlos in die Luft, auf einer flachen Flugbahn parallel zum Deck.
Morrow verfolgte verwirrt das kleine Projektil. Aufgrund des Luftwiderstandes verlor es schnell den größten Teil der Mündungsgeschwindigkeit, aber seine Flugbahn blieb weiterhin flach und stabil und folgte dem Deck. Schließlich, so glaubte Morrow, würde es sich so verlangsamen, daß es auf das Deck fallen und…
Nein, würde es nicht, begriff er plötzlich. Das GUT-Triebwerk war abgeschaltet, und daher existierte auch keine Gravitation. Selbst wenn der Luftwiderstand den Pfeil völlig abbremsen sollte, würde er nicht zu Boden fallen.
»Als die Schwerkraft zum erstenmal aussetzte«, sagte Froschfängerin, »konnte ich nichts treffen. Ich schien jedesmal zu hoch zu zielen. Dann fand ich aber schnell den Grund dafür heraus: Selbst über kurze Distanzen drückt die Gravitation einen Pfeil – oder Armbrust-Bolzen – etwas herunter. Ich habe mich mit der Zeit darauf eingestellt und berücksichtige das nun unbewußt, wenn ich auf etwas ziele.
Bei fehlender Schwerkraft segelt der Pfeil einfach auf einer Geraden weiter, bis er auf etwas trifft.« Sie hob das Blasrohr. »Ich habe stundenlang trainieren müssen, bis ich bei null Gravos mit diesem Ding umgehen konnte; es war, als ob ich noch einmal von vorne angefangen hätte.«
Mark nickte nachdenklich. »Dann glaubst du also, daß die Bogenschützen der Planer uns doch treffen wollten.«
»Da bin ich mir sicher. Aber sie haben zu hoch gezielt. Sie haben nicht gelernt, sich auf null Gravos einzustellen; sie haben das sicher nicht berücksichtigt, als sie auf uns schossen.«
Pragmatikerin stützte das Kinn in die Hände. »Vielleicht hast du recht. Aber ich wüßte nicht, wie uns das weiterhelfen sollte. Selbst wenn sie ihr Ziel etwas verfehlen, sind sie doch so zahlreich, daß sie uns mit einem Hagel von Bolzen überschütten, wenn wir zu nahe herankommen.«
»Ja«, gab Mark zu, wobei sich leichte Erregung in seine synthetische Stimme schlich, »aber vielleicht können wir die Erkenntnisse von Froschfängerin auch anderweitig verwerten. Sie hat recht; die Planer – jeder in diesem Gebäude – können sich nicht auf die Schwerelosigkeit einstellen. Sie scheinen das Fehlen der Gravitation sogar zu negieren.« Er schaute sich um und betrachtete die Takelage, die sie von den Rampen ausgehend geknüpft hatten, als ob er sie zum erstenmal sehen würde. »Und das müssen wir auch tun. Seht euch nur an, wie wir uns bisher fortbewegt haben – indem wir uns über dem Boden entlanggehangelt und an die vertrauten zwei Dimensionen geklammert haben, auf die wir von der Gravitation beschränkt werden.«
Morrow runzelte die Stirn. »Was schlagen Sie also vor?«
Mark erhob das Gesicht zum eisernen Himmel. »Daß wir versuchen, ein wenig kreativ zu denken.«
Im Nullpunkt des schwachen, alten Signals stießen Louise und Seilspinnerin auf eine kleine Welt. Es war ein schmutziger Schneeball mit einem Durchmesser von fünfhundert Kilometern, der sich langsam in der Dunkelheit des Leerraumes drehte.
Als Louise die Leuchtstrahler ihrer Kabine auf die Kleinwelt richtete, leuchtete gesplittertes Eis auf, das mit farbigen Flecken übersät war: Rostbraun und grau.
Dieses verlorene kleine Fragment folgte einer stark elliptischen Bahn, wobei jeder dieser exzentrischen Umläufe eine Million Jahre oder länger dauerte. Der sonnennächste Bahnpunkt befand sich irgendwo zwischen den Orbits von Saturn und Uranus, wohingegen das Aphel auf halber Strecke zum nächsten Stern lag – zwei Lichtjahre entfernt.
»Bizarr«, sinnierte
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