Xeelee 3: Ring
vertrauenerweckend soliden Eindruck. Er stellte beide Füße auf die Sprosse und richtete sich auf. Dann, noch immer mit extremer Vorsicht, drehte er sich um und ließ die Schuhsohlen über die Metallsprosse gleiten.
Er bückte sich und griff nach der nächsten Sprosse. Sie befand sich einen knappen halben Meter unterhalb der ersten. Als er erst einmal zwei oder drei Sprossen bewältigt und eine gewisse Routine erlangt hatte, wobei er sich mit beiden Händen und Füßen an den Sprossen festhielt, kam er leichter voran…
Bis er plötzlich innewurde, daß er in die Dunkelheit hinunterstieg.
Er konnte nichts sehen, nicht einmal die metallenen Sprossen vor dem Gesicht oder das Weiß der auf den Sprossen ruhenden Hände.
Er hielt an und schaute nach oben, wobei er sich auf einmal sogar in das trübe Licht von Deck Eins zurücksehnte. Sofort spürte er, wie warme, bloße Füße auf seine die Sprosse umklammernden Handrücken traten, und er fühlte den schweren Druck von Pfeilmachers Beinen auf Schultern und Kopf. Etwas schlug gegen seinen Rücken – vermutlich Uvarovs Füße.
»Was ist da los?« drang Pfeilmachers Stimme den Schacht herunter. »Was, zum Teufel, machst du da?«
»Tut mir leid. Es war dunkel. Ich…«
»Morrow, deine Freunde müssen den Schacht jeden Augenblick erreichen…«
Etwas Metallenes prallte gegen die Wandung des Schachts, und mit zunehmender Falltiefe verlängerten sich die Intervalle zwischen diesen Geräuschen.
Uvarovs Stimme erklang aus dem Bereich von Pfeilmachers Oberschenkeln. »Korrektur«, meldete er trocken. »Sie haben den Schacht erreicht…«
Mit dem Mut der Verzweiflung setzte Morrow den Abstieg fort.
Mit ausgestreckten Armen und geschlossenen Augen legte Lieserl sich in das glühende Gemisch aus Wasserstoff und Helium und spürte, wie die aus der Fusion entstandenen Photonen sie umtanzten. Auf ihren minutenlangen Orbits um den Kern der Sonne schwebten die langen, linsenförmigen Konturen der Photino-Vögel an Lieserl vorbei. Sie ließ sich von den ausschwärmenden Vögeln abfedern, als sie wie in einem Traum schwebend in das ermattende Herz der Sonne sank.
Und dann erreichte sie eine Region, tief im Inneren der Sonne, wo keine neuen Photonen mehr erzeugt wurden.
Sie und Scholes hatten recht gehabt, all die Jahre zuvor. Der Kern war erloschen.
Die kontinuierliche Energieabgabe aus dem Wasserstoffusions-Kern der Sonne durch die Schwärme der Photino-Vögel war letztlich zu groß geworden. Bereits vor langer Zeit – vielleicht sogar schon vor Lieserls Geburt – war die Kerntemperatur so weit abgesunken, daß die Fusion von Wasserstoff zu Helium schwächer wurde und schließlich ganz zum Erliegen kam.
Nun, mit erloschenem Herzen, durchlief die Sonne ihren Megajahre dauernden Todeskampf. Trotz der langsamen, anhaltenden Wanderung der letzten Photonen von dem stillgelegten Fusionskern an die Oberfläche herrschte hier, im Herzen der Sonne, kaum noch genug Strahlungsdruck, um den Kollaps des Kerns unter der Einwirkung der Gravitation zu verhindern. So fiel der erloschene Kern auf der Suche nach einem neuen Gleichgewichtszustand weiter in sich zusammen, wobei seine Temperatur mit der zunehmenden Verdichtung der Masse anstieg.
Lieserl wußte, daß in jedem Stern von der Größe der Sonne diese Vorgänge irgendwann einmal stattfinden würden – auch ohne die Intervention von Agenten wie den aus Dunkelmaterie bestehenden Photino-Vögeln. Wenn der Brennstoff des Kerns erst einmal erschöpft war, würde der Wasserstoff-Fusionsprozeß zum Erliegen kommen, und dieses finale Sterben eines heliumgesättigten Kerns würde einsetzen.
Der Unterschied war jedoch der, daß der Kern der Sonne noch immer über sehr viel unverbrannten Wasserstoff verfügte; der Fusionsprozeß war nicht etwa wegen eines Mangels an Wasserstoff suspendiert worden, sondern wegen des Energiediebstahls durch die unermüdlichen Schwärme von Photino-Vögeln.
Und natürlich hätte sich die Sonne noch einer Hauptreihen-Existenz von zehn Milliarden Jahren erfreuen müssen, bevor sie in dieses Stadium des Verfalls eintrat. Die Photino-Vögel hatten der Sonne indessen nur noch Millionen Jahre bis zum Beginn dieses Niedergangs gelassen.
Um ihn herum war nur das Geräusch des eigenen Atems, die leisen, hallenden Töne der Hände und Füße auf den Metallsprossen, und – weiter entfernt und durch Echos verzerrt – die schwachen Geräusche der absteigenden Waldmenschen. Es herrschte ein alles überlagernder,
Weitere Kostenlose Bücher