Xeelee 3: Ring
Uvarov.
Morrow ging ein paar Schritte die Rampe hinauf und suchte die Oberfläche ab. Bald erspähte er ein metallisches Blinken. Er bückte sich und hob das kleine Artefakt auf.
Er erkannte, daß es sich um einen Kletterhaken handelte – ein simples Objekt, das er selbst in den Werkstätten von Deck Vier schon hundertmal angefertigt hatte, um es bei den Waldmenschen einzutauschen. Vielleicht hatten Pfeilmacher und Seilspinnerin auch solche Kletterhaken in ihrer Ausrüstung.
Aber dieser Haken schien geschärft worden zu sein; die grob geschliffenen Flächen der Spitze schimmerten…
Ein erneuter Lufthauch.
Seilspinnerin schrie auf. Sie packte ihren linken Arm, beugte sich nach vorne und fiel langsam auf das Deck.
Pfeilmacher beugte sich über sie. »Spinnerin? Spinnerin?«
Seilspinnerin hielt den linken Arm steif an den Körper, und Blut floß durch die Finger, die sie auf das Fleisch gepreßt hatte.
Pfeilmacher zog die Hand seiner Tochter vom Arm weg. Blut tröpfelte am nackten Fleisch herab, quoll aus einer Wunde; ein Metallhaken stach aus dem Mittelpunkt dieser Wunde hervor. Seilspinnerin zeigte weder Schmerz noch Angst; ihr Gesichtsausdruck war leer, vielleicht noch mit der Spur einer dumpfen Überraschung, die sich in den Augen hinter der Brille abzeichnete.
Ohne zu zögern ergriff Pfeilmacher den Haken, legte die andere Hand auf Seilspinnerins Arm und zog.
Der Gegenstand kam glatt zum Vorschein. Seilspinnerin murmelte etwas vor sich hin, und ihr Gesicht war blaß unter der grellen Bemalung.
Pfeilmacher hielt das blutverschmierte Artefakt in die Höhe. Es war auch ein Kletterhaken. »Jemand schießt auf uns«, stellte er gleichmütig fest.
»Schießt?« Uvarov wandte Morrow seinen blinden Kopf zu. »Was soll das werden, du Schreibtischhengst? Gibt Suprahet jetzt schon Waffen an euch aus?«
Morrow ging noch einige Schritte die Rampe hinunter, weiter in das Licht von Deck Zwei, und schaute nach unten.
Vier Leute kamen über die Rampe zu ihm herauf: Zwei Frauen und zwei Männer, alle in schmutzigen, schlichten Arbeitsklamotten. Sie wirkten verängstigt, sogar verwirrt; aber sie rückten zielstrebig und stetig vor. Sie richteten Gegenstände auf seine Brust: Streifen aus glänzendem Metall, die durch Kabel gekrümmt waren.
»Ich glaub’s nicht«, flüsterte er. »Armbrüste. Sie haben Armbrüste.«
Die Waffen bestanden offensichtlich aus dem Material der inneren Trennwände. Sie mußten in den Werkstätten auf Deck Vier hergestellt worden sein – vielleicht nur ein paar Meter von der Stelle entfernt, an der Morrow jahrzehntelang Steigbügel, Ratschen, Brillengestelle und Besteck für Waldmenschen angefertigt hatte, mit deren persönlichem Erscheinen er nie gerechnet hätte.
Einer der vier Angreifer, eine Frau, hob den Bogen und begann ihn schußbereit zu machen, wobei sie mittels eines kleinen Hebels die Spannung erhöhte. Sie holte einen Haken aus der Tasche ihrer Kutte und legte ihn in eine Kerbe auf der Oberseite des Bogens. Sie hob den Bogen an und zielte auf seine Brust.
Morrow schaute fasziniert zu. Er glaubte, diese Frau zu kennen. Arbeitet sie nicht in einem Hydroponic-Prozessor in Segment 21? Und…
Eine kompakte Masse krachte gegen seine Beine. Sein Körper wurde auf die harte, geriffelte Oberfläche der Rampe geschleudert, wobei seine Wange mit erstaunlicher Wucht auf das Metall schlug.
Wieder ein Luftzug über seinem Kopf; wieder vernahm er das Klappern eines auf Metall auftreffenden, geschliffenen Hakens.
Pfeilmacher legte ihm die Hand auf den Rücken und drückte ihn gegen die geriffelte Oberfläche der Rampe. »Du solltest lieber verdammt schnell aufwachen, wenn du am Leben bleiben willst«, zischte der Waldläufer. »Komm schon. Die Rampe hoch. Spinnerin, hilf Uvarov.«
Seilspinnerin, deren Unterarm noch immer blutete, rannte hinter Uvarovs Rollstuhl und begann, ihn rückwärts die Rampe hochzuzerren.
Morrow setzte sich vorsichtig auf. Seine Wange schmerzte, seine linke Seite – wo er aufgeprallt war – war aufgeschürft, und die Rampe wirkte erstaunlich hart unter seinen Beinen. Die Schmerzimpulse waren wie Fragmente einer Sinnesexplosion. Langsam realisierte er, daß er seit seiner Jugend nicht mehr gekämpft hatte, ja in überhaupt keine Art körperliche Auseinandersetzung verwickelt gewesen war.
Pfeilmachers Hand packte ihn am Kragen, riß ihn zurück und drückte ihn wieder auf die Rampe. »Bleib unten, verdammt. Beobachte mich. Tu nur das, was ich auch tue.«
Mit
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