Xeelee 5: Vakuum-Diagramme
atembaren unterMantel vermischen und schließlich im Quantenmeer versinken.
Der Held steckte in einem Kokon – im Kokon ihres Vaters, wie sie angeekelt feststellte – und schlief. Der leere Anzug hing an einem Ast. Es schien niemand in der Nähe zu sein; die meisten Stammesangehörigen hatten sich am Netz der Luft-Schweine versammelt, um eins der Tiere zum Schlachten auszusuchen.
Mit einem Mal war sie hellwach – voller Spannkraft und Tatendrang. Kapillaren weiteten sich im Gesicht und wurden von prickelnder Superflüssigkeit durchströmt. Lautlos und mit angehaltenem Atem stieß sie sich von ihrem Horst ab und schwamm zum Anzug.
Die leeren Finger und Beine baumelten vor ihr. Es war unheimlich, aber auch faszinierend. Zitternd streckte sie die Hand nach dem Anzug aus. Das Gewebe war fein gewoben, und die eingeflochtenen Silberfäden waren glatt und kühl.
Die Vorderseite des Anzugs war offen. Sie fasste hinein und berührte ein weiches daunenartiges Material, das sich kühl und behaglich anfühlte…
Es wäre eine Sache von Sekunden, in diese schwarzsilberne Montur zu schlüpfen.
Der Held stöhnte und öffnete den Mund; dann drehte er sich im Kokon ihres Vaters.
Er schlief noch immer. Wahrscheinlich, so sagte Thea sich angewidert, träumte er von ihrer Schwester.
Sie musste es jetzt tun.
Hastig und mit zittrigen Fingern nahm sie den Anzug vom Ast herunter. Sie drehte sich in der Luft, zog die Knie an die Brust und schob die Füße in den Anzug.
Mit einem Seufzer schmiegte das Gewebe sich um den Körper. Sie schob die Arme in die Ärmel. Das Gefühl der Handschuhe um jeden einzelnen Finger war unbeschreiblich – sie warf einen Blick auf die Hände und sah, dass die Geweberöhren zu lang für ihre Finger waren und an den Fingerspitzen schlackerten.
Dann schloss sie die Vorderseite und fuhr, wie sie es beim Helden gesehen hatte, mit dem behandschuhten Daumen über die Naht. Sie griff über die Schultern, zog den Helm hoch und ließ ihn sich über den Kopf fallen. Wieder genügte eine leichte Daumenbewegung, um den Helm gegen den Rest des Anzugs abzudichten.
Der Anzug war ihr zu groß; der untere Rand des Visiers zog sich als dunkle Linie durch ihr Blickfeld und blendete die halbe Welt aus. Außerdem spürte sie lose Gewebefalten im Rücken und auf der Brust. Doch der Anzug schützte sie, wie er den Helden geschützt hatte, und als sie die Arme hob, folgte er ihren Bewegungen.
Vorsichtig machte sie Schwimmübungen. Sie krümmte den Rücken und bewegte die Beine.
Elektronengas waberte ihr knisternd um die Gliedmaßen. Sie flog unbeholfen über die Baumwipfel dahin. Äste und Laub schlugen gegen den Anzug.
Mit den behandschuhten Händen packte sie einen Baum und kam zum Stillstand.
Sie schaute am Anzug hinab und schauderte erneut. Es war, als ob das Magfeld sie hochgehoben und durch die Luft geschleudert hätte.
Solche Kraft.
Sie stieß sich von den Bäumen in die freie Luft ab und versuchte es erneut – diesmal viel vorsichtiger, bei stark verringerter Beinarbeit. Sie schoss ein paar Mannhöhen in die Luft: Es war noch immer ungewohnt, doch nun war die Bewegung halbwegs kontrolliert.
Sie schwamm weiter und schlug einen Kreisbogen ein.
Eigentlich müsste sie das in den Griff kriegen, sagte sie sich. Schließlich schwamm sie nur, wie sie es seit dem Moment getan hatte, als sie aus dem Mutterleib geschlüpft war. Mit Schwimmen war gemeint, dass – elektrisch geladene – Gliedmaßen durchs Magfeld gezogen wurden. Das starke Magnetfeld des Sterns induzierte elektrische Ströme in den Gliedern, wodurch sie mit dem Magfeld in Wechselwirkung traten.
Ein Teil des Anzugs – vielleicht die glänzenden Silber-Einlagen – musste ein viel besserer Leiter sein als ein menschlicher Körper. Also war auch der Schub des Magfelds viel größer. Man musste nur ein Gefühl dafür bekommen.
Sie legte sich ins Magfeld und stieß sich sachte mit den Beinen ab. Allmählich lernte sie, die ›Schwimmhilfe‹ zu dosieren. Elektronengas wurde um die Schenkel verwirbelt. Das Geheimnis war nicht Kraft, sondern Feinfühligkeit, Geschmeidigkeit und ein Gespür für den weichen Widerstand des Magfelds.
Der Anzug trug sie mühelos durch die Flusslinien.
Sie flog durch den Himmel. Der Anzug fühlte sich an wie ein Teil ihres Körpers, als ob er immer schon da gewesen wäre – und sie hatte das Gefühl, dass ein Teil von ihr süchtig danach geworden war und sich für immer an diese Erfahrung klammern würde…
Das Gesicht
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