Xeelee 5: Vakuum-Diagramme
Interesse über Lurs Körper glitt.
Thea schloss Lur in die Arme, ohne den Blick vom Gesicht des Manns zu wenden. »Bist du echt? Ich meine – bist du er? Der Held?«
War das denn die Möglichkeit?
Er schaute sie an und schien zu lächeln. Das Gesicht war im Schatten des Anzugs aber kaum zu erkennen.
Sie versuchte, sich über ihre Gefühle klar zu werden. Wenn sie sich als Kind diesen unglaublichen Moment vorgestellt hatte – das Erscheinen des Helden aus dem Nichts, um ihr in höchster Not beizustehen –, dann war das immer von einem Gefühl der Sicherheit begleitet: Dass sie imstande wäre, sich angesichts der starken, beruhigenden Präsenz des Helden fallen zu lassen.
Doch so war es nicht. Mit dem maskierten Gesicht war der Held alles andere als vertrauenerweckend. Er wirkte nicht einmal mehr menschlich.
Hinter der durchsichtigen Scheibe richtete der Blick des Helden sich wieder auf Lur. Mit unverhohlener Lüsternheit.
* * *
Ihr Vater weinte.
Wesas schmales müdes Gesicht unter dem Schopf aus früh vergilbten Haar-Röhren war schmerzverzerrt. »Ich vermochte dir nicht zu helfen. Ich sah wohl, was geschah, aber…«, sagte er mit brüchiger Stimme.
Verlegen ließ sie sich von ihm umarmen. Sie erkannte, dass Wesa sich mit diesen Worten nicht so sehr für die unterlassene Hilfeleistung rechtfertigen, sondern eher den eigenen Schock und die Scham verarbeiten wollte.
Sie befreite sich wieder aus der Umklammerung des Vaters.
Ihre Leute hatten sich um den Helden geschart.
Der Held fuhr mit dem behandschuhten Daumen über die Naht in der Brustplatte des Anzugs, und der Anzug öffnete sich. Er streifte ihn ab, als ob er eine ganze Hautschicht abschälte. Unter dem Anzug trug er nur eine graue Unterhose. Seine Haut war blassgelb. Er war viel dünner, als er im Anzug gewirkt hatte, aber ziemlich muskulös.
Thea war zutiefst enttäuscht. Nur ein Mann. Ist das etwa alles? Noch dazu ein alter Mann mit vergilbten Haar-Röhren und einem eingefallenen, runzligen Gesicht – älter als jeder Angehörige ihres Stamms, wie sie nun sah.
Wesa, Lur und ein paar andere versammelten sich wieder um den Helden und boten ihm Nahrung dar. Auch von ihrem Hauptnahrungsmittel, frischem Luft-Schwein-Schinken.
Grinsend schob der Held sich die Leckereien in den Mund.
* * *
Später legte der Held den Anzug an und ging allein in den Wald, in Richtung der Wurzeldecke. Bei der Rückkehr brachte er ein großes Luft-Schwein mit.
Die Leute – darunter Lur und Wesa – liefen wieder herbei und betatschten den fetten zylindrischen Körper des Luft-Schweins. Vor Entsetzen hatte es die sechs Stielaugen ganz ausgefahren und das große Maul fest geschlossen. Die Winde, die es in seiner Hilflosigkeit ausstieß, hingen als Wölkchen in der Luft.
Eine Jagdgruppe aus Männern und Frauen hätte tagelang durch den Wald streifen müssen, um Aussicht auf solch eine fette Beute zu haben.
Sogar durch die Helmplatte sah Thea den Helden grinsen, während er die Huldigung der Leute entgegennahm.
Sie schwamm von der kleinen Siedlung zum Waldrand und schmiegte sich an einen Ast. Sie spürte das kühle glatte Holz auf der Haut und knabberte an den jungen Trieben, die hinter den geöffneten reifen Blattkelchen wuchsen.
Dann rollte sie sich zu einer Kugel zusammen, stopfte sich noch ein paar zarte Blätter in den Mund und versuchte zu schlafen.
* * *
Ein leises Stöhnen weckte sie auf.
Der süßliche Duft junger Blätter stieg ihr in die Nase. Schlaftrunken steckte sie den Kopf durch die Äste in die Luft.
Sie sah die Silhouetten zweier bewegter Gestalten gegen das tiefe Purpur des Quantenmeers. Es waren der Held und ihre Schwester Lur, die gemächlich um die Vortexlinien kreisten. Der Held trug den schimmernden Anzug, nur dass er bis zur Taille geöffnet war. Lur hatte die Schenkel um seine Hüfte geschlungen und bäumte sich mit geschlossenen Augen auf. Die Haut des Helden wirkte alt an Lurs jungem Körper, als ob sie bereits in den Zustand der Verwesung übergegangen wäre.
Der Lohn des Jägers…
Thea zog sich in den Wald zurück und presste die Hände auf die Augen.
* * *
Als sie wieder aufwachte, fühlte sie sich niedergeschlagen und antriebslos.
Sie fiel aus dem Wald und schwebte mit an die Brust gezogenen Beinen in der Luft. Dann drückte sie ein paar Mal kräftig und entleerte den Darm. Sie sah, wie die fahlen geruchlosen Kot-Kügelchen funkelnd in der Luft trieben. Die mit Neutronen gesättigten Fäkalien würden sich mit dem nicht
Weitere Kostenlose Bücher