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Xeelee 5: Vakuum-Diagramme

Xeelee 5: Vakuum-Diagramme

Titel: Xeelee 5: Vakuum-Diagramme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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des Helden füllte ihr Blickfeld aus. Sie schrie auf. Er grinste sie durch die Gesichtsplatte an. Die Runzeln um die Augen waren vom Alter tief eingegraben und lagen im Schatten. Er packte sie an den Schultern, und sie spürte, wie seine knochigen Finger durchs Anzugsgewebe sich in ihr Fleisch gruben.
    »Ich bin unter dir hochgekommen«, sagte er mit rauer Stimme. »Ich wusste, dass du mich nicht sehen würdest. Der verdammte Helm muss dir doch das halbe Blickfeld nehmen.«
    Die Furcht wich dem Zorn. Sie hob die beschuhte Hand und schlug ihm die Arme weg.
    …Leicht. Er unterdrückte einen Schrei und schlang die Arme um die Brust; dann straffte er sich, um auf Augenhöhe mit ihr zu kommen – aber nicht, bevor sie den Schmerz in seinen Augen gesehen hatte.
    Dann streckte sie die Hände aus und packte den Helden an den Schultern, wie er es bei ihr getan hatte. In diesem Anzug vermochte sie nicht nur wie ein Gott zu schwimmen – sie war auch stark, stärker als sie es sich je vorgestellt hätte. Sie grub die Finger in seine Schultern und hob ihn lachend über den Kopf. Er schien um einen gleichmütigen Gesichtsausdruck bemüht, doch erkannte sie einen Anflug von Angst und noch etwas anderes: Unbehagen.
    »Na, wer ist nun der Held?«, spie sie förmlich aus.
    »Ein Anzug aus Kernstoff macht noch keinen Helden.«
    »Nein«, sagte sie und dachte an Lur. »Und Helden lassen sich auch nicht bezahlen…«
    Er grinste sie vielsagend an.
    »Was ist Kernstoff?«, fragte sie dann.
    »Wenn du mich loslässt, sag ich’s dir.«
    Sie zögerte.
    »Lass mich los, verdammt«, fuhr er sie an. »Was sollte ich dir schon tun?«
    Langsam ließ sie seine Schultern los und stieß ihn von sich.
    Er rieb sich die spitzen Schulterknochen. »Du sollst ruhig wissen, was du mir gestohlen hast. Die Einlagen im Gewebe bestehen aus Kernstoff. Eine supraleitende Faser, die aus dem Quantenmeer gewonnen wird.« Er schniefte. »Natürlich in den alten Tagen, vor den Kern-Kriegen.«
    »Gehörte der Anzug etwa einem Ur-Menschen?«
    Er lachte und winkte ab. »Ur-Menschen hätten hier im Innern des Mantels nicht zu überleben vermocht. Jedes wilde Kind weiß das.«
    Sie schaute verstohlen auf seine vergilbten Haarröhren und vermied es, sich weitere Blößen zu geben. Wie alt war er? »Erinnerst du dich an die alten Tage – vor den Kern-Kriegen? Stammt der Anzug noch aus dieser Zeit?«
    Er sah sie verächtlich an – doch war diese Verachtung mit Mitgefühl gepaart. Bin ich wirklich eine solche Wilde?, fragte sie sich.
    »Kind, die Kriege waren vorbei, als ich geboren wurde. Die ganze Technik – die Städte, die Wurmloch-Pfade durch den Mantel – all das war verschwunden. Es waren nur ein paar Reste übrig – wie dieser Anzug, den mein Vater ergattert hatte.« Er grinste und schnitt eine Grimasse wie ein Totenschädel. »Er gehörte der Polizei, in einer der großen Städte. Polizei. Weißt du, was das bedeutet?
    Der Anzug hielt uns – meine Eltern und mich – für eine Weile am Leben. Und nach ihrem Tod…«
    Sie versuchte, Verachtung in die Stimme zu legen. »…bist du dann im Mantel rumgeflogen und hast den Helden markiert.«
    »Ist das so schlimm?«, fragte er verärgert. »Ich helfe den Leuten wenigstens. Und was wirst du damit anfangen, kleines Mädchen?«
    Sie formte die Hände zu Klauen und streckte sie nach ihm aus. Es wäre ein Leichtes gewesen, ihm den dürren Hals umzudrehen.
    Er erwiderte ihren Blick ungerührt.
    Sie kippte nach hinten und schwamm weg.
    * * *
    Thea flog durch unendliche Korridore aus Vortexlinien. Driftende Spin-Spinneneier klatschten gegen das Helmvisier und die Beine. Das Quantenmeer war ein purpurner Boden tief unter ihr, der die gelbe Luft begrenzte; die Kruste war eine komplexe umgestülpte Landschaft, unter der sie dahinflog.
    Schwimmen war glorreich. Sie schaute an ihrem silber-beschichteten Körper hinab; blaue Lichtreflexe von den Vortexlinien-Korridoren und das sanfte purpurne Glühen des Meeres zeichneten komplexe Schatten auf ihre Brust. Sie bewegte sich jetzt schon schneller, als sie sich je im Leben bewegt hatte, und dabei wusste sie, dass sie die Möglichkeiten dieses magischen Anzugs längst noch nicht ausgeschöpft hatte.
    Sie öffnete den Mund und stieß einen Jubelschrei aus, der im Helm widerhallte.
    Sie stob spiralförmig um die gekrümmten Vortexlinien, in eine Aureole aus knisterndem blauen Elektronengas gehüllt. Atemlos stürzte sie sich vom Rand des Krusten-Walds in die Tiefe des Mantels, bis

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