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Xenozid

Xenozid

Titel: Xenozid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Card Orson Scott
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verlassen hatte, kehrte Qing-jao an ihr Terminal zurück. Sie blätterte müßig die Berichte auf dem Display ihres Terminals durch. Sie hatte sie alle schon studiert und nichts gefunden, was ihr weiterhalf. Warum sollte es diesmal anders sein? Vielleicht zeigten diese Berichte und Zusammenfassungen ihr nichts, weil es nichts zu zeigen gab. Vielleicht war die Flotte verschwunden, weil irgendein Gott zum Berserker geworden war; es gab Geschichten, daß so etwas in alten Zeiten schon vorgekommen war. Vielleicht gab es keinen Beweis für eine menschliche Einmischung, weil Menschen gar nicht beteiligt waren. Sie fragte sich, was Vater dazu sagen würde. Was würde der Kongreß gegen eine verrückt gewordene Gottheit unternehmen? Sie konnten noch nicht einmal diesen verräterischen Schriftsteller Demosthenes aufspüren – welche Hoffnung hatten sie, einen Gott aufzuspüren und auszuschalten?
    Wer auch immer Demosthenes ist, er lacht sich in diesem Augenblick ins Fäustchen, dachte Qing-jao. Seine ganze Arbeit galt dem Ziel, das Volk zu überzeugen, es sei nicht rechtens von der Regierung, die Lusitania-Flotte auszuschicken, und nun wurde die Flotte aufgehalten, genau, wie Demosthenes es wollte.
    Genau, wie Demosthenes es wollte. Zum ersten Mal stellte Qing-jao eine geistige Verbindung her, die so offensichtlich war, daß sie nicht glauben konnte, noch nie daran gedacht zu haben. Sie war sogar so offensichtlich, daß die Polizei vieler Städte davon ausgegangen war, bekannte Gefolgsleute von Demosthenes müßten mit Sicherheit mit dem Verschwinden der Flotte zu tun haben. Sie hatten alle Verdächtigen zusammengetrieben und versucht, ihnen Geständnisse abzupressen. Doch natürlich hatte niemand Demosthenes selbst befragt, denn niemand wußte, wer er war.
    Demosthenes war so klug, daß er trotz aller Nachforschungen der Kongreßpolizei jahrelang ein genauso flüchtiges Wesen war wie die Ursache des Verschwindens der Flotte. Wenn er den einen Trick bewirken konnte, warum denn nicht auch den anderen? Wenn ich Demosthenes finde, finde ich vielleicht auch heraus, wie die Flotte von uns abgeschnitten wurde. Nicht, daß ich die geringste Ahnung hätte, wo ich mit dem Suchen anfangen soll. Aber es ist zumindest eine neue Annäherung an das Problem. Zumindest bedeutet es, daß ich nicht immer und immer wieder dieselben leeren, nutzlosen Berichte lesen muß.
    Plötzlich erinnerte sich Qing-jao, wer nur vor einem Moment fast genau den gleichen Vorschlag gemacht hatte. Sie fühlte, wie sie errötete; das Blut schoß in ihre Wangen. Wie arrogant war es doch von mir, Wang-mu zu tadeln, sie wegen der Vorstellung zu schelten, sie könne mir bei meiner erhabenen Aufgabe helfen. Und nun, keine fünf Minuten später, ist der Gedanke, den sie in meinem Verstand gepflanzt hat, zu einem Plan aufgeblüht. Selbst wenn dieser Plan fehlschlagen sollte, war sie diejenige, die ihn mir gab oder mich zumindest daran denken ließ. Also war es töricht von mir, sie für töricht zu halten. Tränen der Scham füllten Qing-jaos Augen.
    Dann dachte sie an einige berühmte Zeilen eines Gedichts ihrer Vorfahrin-des-Herzens.
     
    Ich will die
    Brombeerblüten zurückrufen
    die gefallen sind
    obwohl Birnenblüten bleiben
     
    Die Dichterin Li Qing-jao wußte, wie schmerzhaft es war, Worte zu bedauern, die schon über unsere Lippen gekommen sind und niemals zurückgenommen werden können. Doch sie war weise genug, um sich daran zu erinnern, daß, obwohl diese Worte gesprochen wurden, neue darauf warten, gesagt zu werden, wie die Birnenblüten.
    Um über die Schande hinwegzukommen, so arrogant gewesen zu sein, wiederholte Qing-jao alle Worte des Gedichts, oder fing zumindest damit an. Doch als sie an die Zeile
     
    Drachenschiffe auf dem Fluß
     
    kam, wandten sich ihre Gedanken der Lusitania-Flotte zu, und sie stellte sich all diese Sternenschiffe als Flußboote vor, die grell bemalt nun mit der Strömung trieben, so fern vom Ufer, daß sie nicht mehr gehört werden konnten, ganz gleich, wie laut sie riefen.
    Von Drachenschiffen glitten ihre Gedanken zu Flugdrachen über, und nun stellte sie sich die Lusitania-Flotte als Drachen mit gerissenen Leinen vor, die vom Wind fortgetragen wurden und nicht mehr mit dem Kind verbunden waren, das sie ursprünglich hatte fliegen lassen. Wie schön, sie frei zu sehen; doch wie schrecklich mußte es für sie sein, die sich die Freiheit nie ersehnt hatten.
     
    Ich fürchtete nicht die zornigen Winde
    und den heftigen

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