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Xenozid

Xenozid

Titel: Xenozid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Card Orson Scott
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Gedanken verblieben bei ihm; er teilte sie mit niemandem.
    Bis auf Jane. Mit Jane konnte er sprechen. Sie war ihm zum ersten Mal zu Hause auf seinem Terminal erschienen; ihr Gesicht hatte auf dem Bildschirm Gestalt angenommen. »Ich bin eine Freundin des Sprechers für die Toten«, hatte sie gesagt. »Ich glaube, wir können diesen Computer dazu bringen, etwas schneller zu reagieren.« Von da an hatte Miro festgestellt, daß Jane die einzige Person war, mit der er problemlos sprechen konnte. Zum einen war sie unendlich geduldig. Sie führte seine Sätze niemals zu Ende. Sie konnte darauf warten, daß er sie selbst beendete, so daß er sich niemals gedrängt fühlte, niemals den Eindruck hatte, sie zu langweilen.
    Noch wichtiger war vielleicht, daß er für sie seine Worte nicht so vollständig ausbilden mußten wie für menschliche Zuhörer. Andrew hatte ihm ein persönliches Terminal gegeben – einen Computerempfänger, der von einem ähnlichen Juwel umschlossen wurde wie das, das Andrew in seinem Ohr trug. Von diesem günstigen Ausgangspunkt konnte Jane mit Hilfe der Sensoren des Juwels jedes Geräusch wahrnehmen, das er machte, jede Bewegung des Muskeln in seinem Kopf. Er mußte nicht jedes Geräusch vollenden, er mußte es nur beginnen, und sie verstand ihn. So konnte er faul sein. Er konnte schneller sprechen und wurde verstanden.
    Und er konnte auch stumm sprechen. Er konnte subvokalisieren – er mußte nicht diese unbeholfene, bellende, heulende Stimme benutzen. Wenn er also mit Jane sprach, konnte er schnell und natürlich sprechen, ohne daran erinnert zu werden, daß er ein Krüppel war. Wenn er mit Jane sprach, fühlte er sich wie er selbst.
    Nun saß er auf der Brücke des Frachters, der den Sprecher für die Toten erst vor ein paar Monaten nach Lusitania gebracht hatte. Er schreckte vor dem Rendezvous mit Valentines Schiff zurück. Wäre ihm ein anderer Ort eingefallen, wohin er gehen könnte, er wäre vielleicht dorthin gegangen – er hatte nicht den geringsten Wunsch, Andrews Schwester Valentine oder sonst jemandem zu begegnen. Er wäre zufrieden gewesen, auf ewig allein in dem Sternenschiff bleiben zu können und nur mit Jane zu sprechen.
    Aber das konnte er nicht. Er würde nie wieder zufrieden sein.
    Zumindest waren diese Valentine und ihre Familie eine neue Erfahrung. Auf Lusitania kannte er jeden oder zumindest jeden, an dem ihm etwas lag – die gesamte wissenschaftliche Gemeinde dort, die Menschen mit Bildung und Verständnis. Er kannte sie alle so gut, daß er nicht umhin konnte, ihr Mitleid zu sehen, ihre Trauer darüber, was aus ihm geworden war. Wenn sie ihn musterten, konnten sie nur den Unterschied zwischen dem sehen, was er zuvor gewesen und was aus ihm geworden war.
    Es bestand die Möglichkeit, daß neue Menschen – Valentine und ihre Familie – imstande waren, ihn anzuschauen und etwas anderes in ihm zu sehen.
    Doch auch das war unwahrscheinlich. Fremde würden ihn anschauen und weniger als die sehen, die ihn gekannt hatten, bevor er zum Krüppel geworden war. Zumindest wußten Mutter, Andrew, Ela und Ouanda und all die anderen, daß er einen Verstand hatte, daß er imstande war, Ideen zu verstehen. Was werden neue Menschen denken, wenn sie mich sehen? Sie werden einen Körper sehen, der bereits verkümmert ist; sie werden meinen schlurfenden Gang sehen; sie werden mich beobachten, wie ich Hände wie Klauen benutze, wie ein dreijähriges Kind einen Löffel umklammere; sie werden meine dumpfe, halb verständliche Stimme hören; und sie werden annehmen, daß solch ein Mensch keine komplizierten oder schwierigen Dinge verstehen kann.
    Warum bin ich hierher gekommen?
    Ich bin nicht gekommen. Ich ging. Ich bin nicht hierher gekommen, um diese Menschen zu treffen. Ich bin dort aufgebrochen. Gegangen. Nur habe ich mich selbst belogen. Ich dachte daran, auf eine Reise von dreißig Jahren zu gehen, doch so wird es nur ihnen vorkommen. Für mich sind nur anderthalb Wochen vergangen. Überhaupt keine Zeit. Und schon ist meine Zeit der Einsamkeit vorbei. Die Zeit, die ich allein mit Jane verbracht habe, die mir zuhört, als sei ich noch ein menschliches Wesen, ist verstrichen.
    Beinahe. Beinahe hätte er die Worte gesprochen, die das Rendezvous abgebrochen hätten. Er hätte Andrews Sternenschiff stehlen und auf eine Reise gehen können, die ewig gedauert hätte, ohne daß er noch einmal einer anderen lebenden Seele gegenübertreten mußte.
    Doch solch ein nihilistischer Akt entsprach ihm

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