Xenozid
einig. Bald standen die Menschen vor dem geöffneten Stamm Kriegmachers und sahen das hagere, von der Krankheit entstellte Gesicht Vater Estevãos, das in den Schatten kaum auszumachen war.
»Öffne dich und laß meinen Sohn zu mir heraus«, sagte Ender.
Der Riß im Baum wurde breiter. Ender griff hinein und zog Vater Estevãos Leiche hinaus. Er war unter seinen Roben so leicht, daß Ender einen Augenblick lang glaubte, er müsse einen Teil seines Gewichts selbst tragen, müsse gehen. Doch er ging nicht. Ender legte ihn vor dem Baum auf den Boden.
Ein Bruder schlug einen Rhythmus auf Kriegmachers Stamm.
»Er muß in der Tat zu dir gehören, Sprecher für die Toten, denn er ist tot. Der Heilige Geist hat ihn in der zweiten Taufe verbrannt.«
»Ihr habt den Eid gebrochen«, sagte Ender. »Ihr habt das Wort der Vaterbäume verraten.«
»Keiner hat ihm auch nur ein Haar gekrümmt«, sagte Kriegmacher.
»Glaubt ihr, ihr könntet mit euern Lügen jemanden täuschen?« sagte Ender. »Jeder weiß, daß es eine Gewalttat ist, einem Sterbenden seine Medizin vorzuenthalten. Genausogut hättet ihr ihm einen Messerstich ins Herz versetzen können. Dort ist seine Medizin. Ihr hättet sie ihm jederzeit geben können.«
»Es war Kriegmacher«, sagte einer der neben dem Baum stehenden Brüder.
Ender wandte sich an die Brüder. »Ihr habt Kriegmacher geholfen. Glaubt nicht, ihr könntet ihm allein die Schuld zuschreiben. Möge keiner von euch jemals in sein drittes Leben treten. Und was dich betrifft, Kriegmacher, möge nie wieder eine Mutter auf deiner Borke kriechen.«
»Kein Mensch kann so etwas entscheiden«, sagte Kriegmacher.
»Du hast es selbst entschieden, als du glaubtest, du könntest einen Mord begehen, um deinen Streit zu gewinnen«, sagte Ender. »Und ihr Brüder habt euch entschieden, als ihr ihn nicht aufgehalten habt.«
»Du bist nicht unser Richter!« rief einer der Brüder.
»Doch, das bin ich«, sagte Ender. »Genau wie jeder andere Bewohner Lusitanias, Mensch und Vaterbaum, Bruder und Gattin.«
Sie trugen Quims Leiche zu dem Wagen, und Jakt, Ouanda und Ender fuhren mit ihm. Lars und Varsam nahmen den Wagen, den Quim benutzt hatte. Ender brauchte ein paar Minuten, um eine Nachricht für Jane aufzusetzen, die sie in der Kolonie an Miro übermitteln sollte. Novinha mußte nicht drei Tage warten, um zu erfahren, daß ihr Sohn durch die Hände der Pequeninos gestorben war. Und sie würde es nicht aus Enders Mund hören wollen, soviel stand fest. Ender konnte nicht einmal vermuten, ob er noch eine Frau haben würde, wenn er in die Kolonie zurückkehrte. Sicher war nur, daß Novinha ihren Sohn Estevão nicht mehr hatte.
»Wirst du für ihn sprechen?« fragte Jakt, als der Wagen über das Capim brauste. Er hatte auf Trondheim einmal gehört, wie Ender für die Toten sprach.
»Nein«, sagte Ender. »Ich glaube nicht.«
»Weil er ein Priester ist?« fragte Jakt.
»Ich habe schon für Priester gesprochen«, sagte Ender. »Nein, ich werde nicht für Quim sprechen, weil kein Grund dazu besteht. Quim war immer genau das, was er zu sein schien, und er starb genau, wie er es gewollt hätte – Gott dienend, während er bei den Kleinen predigte. Ich habe seiner Geschichte nichts hinzuzufügen. Er hat sie selbst abgeschlossen.«
Kapitel 11
Die Jade des Meisters Ho
›Also fängt das Töten jetzt an.‹
›Amüsant ist nur, daß dein Volk damit begonnen hat, nicht die Menschen.‹
›Dein Volk hat auch damit begonnen, als du deine Kriege mit den Menschen hattest.‹
›Wir haben damit angefangen, aber sie haben es beendet.‹
›Wie gelingt ihnen das nur, diesen Menschen – jedesmal so unschuldig anzufangen, um es dann mit dem meisten Blut an ihren Händen zu beenden?‹
Wang-mu beobachtete, wie sich die Worte und Zahlen durch das Display über dem Terminal ihrer Herrin bewegten. Qing-jao schlief leise atmend ganz in der Nähe auf ihrer Matte. Wang-mu hatte auch eine Weile geschlafen, doch irgend etwas hatte sie geweckt. Ein Schrei, nicht weit entfernt; vielleicht ein Schmerzensschrei. Es war ein Teil von Wang-mus Traum gewesen, doch als sie erwachte, hörte sie das Geräusch noch in der Luft verhallen. Es war nicht Qing-jaos Stimme gewesen. Vielleicht die eines Mannes, obwohl das Geräusch schrill gewesen war. Ein wehklagendes Geräusch. Es ließ Wang-mu an den Tod denken.
Aber sie erhob sich nicht, um nachzusehen. Das stand ihr nicht zu; ihr Platz war an der Seite ihrer Herrin, bis ihre Herrin sie
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