Xenozid
um Qing-jao um Hilfe zu bitten.
»Wenn Vater selbst mich gefragt hätte, hätte ich eingewilligt, denn es ist meine Pflicht als Tochter«, sagte Qing-jao.
Doch Wang-mu wußte, daß Qing-jao dieser Tage nicht mehr auf ihren Vater hörte. Sie würde vielleicht sagen, sie wolle gehorsam sein, doch in Wirklichkeit erfüllte ihr Vater sie mit solchem Unbehagen, daß sich Qing-jao zu Boden geworfen und wegen des schrecklichen Konflikts in ihrem Herzen den ganzen Tag lang Linien verfolgt hätte, weil ihr Vater von ihr verlangte, daß sie den Göttern gegenüber ungehorsam war.
»Ich schulde dir nichts«, sagte Qing-jao. »Du warst falsch und eine treulose Dienerin. Es gab nie eine unwürdigere und nutzlosere geheime Magd als dich. Für mich ist deine Anwesenheit in diesem Haus wie die Anwesenheit von Mistkäfern beim Mittagstisch.«
Erneut hielt Wang-mu die Zunge im Zaum. Doch sie verbeugte sich auch nicht tiefer. Zu Beginn dieses Gesprächs hatte sie die bescheidene Haltung einer Dienerin eingenommen, doch sie würde sich nicht mit dem verzweifelten Kotau einer Büßerin erniedrigen. Selbst die bescheidensten von uns haben ihren Stolz, und ich weiß, Herrin Qing-jao, daß ich dir keinen Schaden verursacht habe, daß ich dir jetzt treuer ergeben bin als du selbst.
Qing-jao wandte sich wieder ihrem Terminal zu und gab den ersten Projektnamen ein, der ›LOSLOESEN‹ lautete, eine wörtliche Übersetzung des Begriffs Descolada. »Das ist sowieso alles Unsinn«, sagte sie, während sie die Dokumente und Schaubilder betrachtete, die Lusitania geschickt hatte. »Es ist kaum vorstellbar, daß jemand den Verrat begehen würde, mit Lusitania zu kommunizieren, nur um so einen Unsinn zu bekommen. Es ist wissenschaftlich unmöglich. Keine Welt könnte nur einen Virus entwickelt haben, der so komplex ist, daß er im genetischen Kode jeder anderes Spezies des Planeten enthalten ist. Es wäre Zeitverschwendung für mich, überhaupt darüber nachzudenken.«
»Warum?« fragte Wang-mu. Jetzt durfte sie sprechen – denn obwohl Qing-jao erklärt hatte, sie weigere sich, die Angelegenheit zu diskutieren, diskutierte sie sie doch. »Schließlich hat die Evolution auch nur eine menschliche Rasse hervorgebracht.«
»Aber auf der Erde gab es Dutzende verwandter Spezies. Es gibt keine Spezies, die nicht mit einer anderen verwandt ist – wärest du nicht ein so dummes, rebellisches Mädchen, würdest du das verstehen. Die Evolution hätte niemals ein so spärliches System wie das hervorbringen können.«
»Wie erklärst du dir dann diese Dokumente der Bewohner Lusitanias?«
»Woher willst du wissen, daß sie wirklich von dort kommen? Du hast dafür nur das Wort dieses Computerprogramms. Vielleicht glaubt es, das sei alles. Oder vielleicht sind die Wissenschaftler dort sehr schlecht und haben nicht das nötige Pflichtgefühl, um alle verfügbaren Informationen zu sammeln. In dem ganzen Bericht gibt es keine zwei Dutzend Spezies – und sieh doch, sie hängen auf die absurdeste Art und Weise paarweise zusammen. Es ist unmöglich, so wenig Spezies zu haben.«
»Aber was wäre, wenn sie recht haben?«
»Wie können sie recht haben? Die Menschen von Lusitania waren von Anfang an auf einem winzigen Gelände zusammengepfercht. Sie haben nur gesehen, was diese kleinen Schweinchen ihnen gezeigt haben – woher wollen sie wissen, daß diese Schweinemenschen sie nicht belügen?«
Du nennst sie Schweinemenschen – willst du sich so selbst überzeugen, meine Herrin, daß es nicht zum Xenozid führen wird, wenn du dem Kongreß hilfst? Glaubst du, es sei richtig, sie abzuschlachten, wenn du sie mit einem Tiernamen belegst? Haben sie die Auslöschung verdient, wenn du ihnen eine Lüge vorwirfst? Doch Wang-mu sagte nichts von dem; sie stellte lediglich die gleiche Frage noch einmal. »Aber was wäre, wenn das das wahre Bild der Lebensformen auf Lusitania ist, und wenn die Descolada wirklich so in ihnen arbeitet?«
»Wenn diese Dokumente wahr wären, müßte ich sie in Ruhe lesen und studieren, um einen intelligenten Kommentar abgeben zu können. Aber sie sind nicht wahr. Wie weit bin ich mit deiner Ausbildung gekommen, bevor du mich verraten hast? Habe ich dich nichts über Gaialogie gelehrt?«
»Doch, Herrin.«
»Na also. Die Evolution ist das Mittel, mit dem sich die planetaren Organismen an Veränderungen in ihrer Umwelt anpassen. Wenn es mehr Wärme von der Sonne gibt, müssen die Lebensformen des Planeten in der Lage sein, ihre relativen
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