Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Xenozid

Xenozid

Titel: Xenozid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Card Orson Scott
Vom Netzwerk:
übereinstimmen, ist, daß es irgendwie Andrews Schuld war. Daß Ihre Mutter ihn verlassen hat, hat ihn innerlich zerrissen.«
    »Ich weiß.«
    »Ich weiß nicht einmal, wie ich ihn trösten kann. Oder auch nur, worauf ich als seine ihn liebende Schwester hoffen soll – daß sie wieder in sein Leben tritt oder ihn endgültig verläßt.«
    Olhado zuckte mit den Achseln. Sein sprödes Benehmen war zurückgekehrt.
    »Ist es Ihnen wirklich gleichgültig?« fragte Valentine. »Oder haben Sie den Vorsatz gefaßt, daß es Ihnen gleichgültig sein soll?«
    »Vielleicht habe ich solch einen Vorsatz vor langer Zeit gefaßt, und jetzt ist es mir wirklich gleichgültig.«
    Ein guter Gesprächspartner wußte, wann er schweigen mußte. Valentine wartete.
    Doch Olhado konnte warten. Valentine hätte fast aufgegeben und etwas gesagt. Sie spielte sogar mit der Idee, ihre Niederlage einzugestehen und zu gehen.
    Dann sprach er. »Als sie meine Augen ersetzt haben, nahmen sie auch die Tränendrüsen heraus. Natürliche Tränen hätten die industriellen Schmiermittel in meinen Augenhöhlen beeinflußt.«
    »Industrielle Schmiermittel?«
    »Ein kleiner Scherz«, sagte Olhado. »Weil sich meine Augen niemals mit Tränen füllen, scheine ich ein sehr gefühlskalter Mensch zu sein. Und die Leute können meinen Gesichtsausdruck nicht deuten. Eigentlich ist das sehrkomisch. Die Augäpfel können ihre Form nicht ändern und damit einen Ausdruck zeigen. Das glaubt man nur. Ja, die Augen bewegen sich ständig – entweder, Sie halten einen Blickkontakt, oder Sie sehen nach unten oder oben –, doch meine Augen tun das auch. Sie bewegen sich noch immer mit perfekter Symmetrie. Sie deuten noch an, in welche Richtung ich schaue. Doch die Leute können es nicht ertragen, sie anzusehen. Also wenden sie den Blick ab. Sie lesen nicht den Ausdruck auf meinem Gesicht und glauben daher, daß ich gar keinen habe. Manchmal brennen meine Augen, röten sich und schwellen etwas an, als hätte ich geweint.«
    »Mit anderen Worten«, sagte Valentine, »Ihnen ist es doch nicht gleichgültig.«
    »Mir war es nie gleichgültig«, sagte er. »Manchmal dachte ich, ich sei der einzige, der es verstand, wenngleich ich die halbe Zeit über nicht wußte, was ich nun eigentlich verstand. Ich zog mich zurück und beobachtete, und weil ich bei den Familienzwistigkeiten mein Ego nicht durchsetzen mußte, blickte ich deutlicher durch als alle anderen. Ich sah das Machtgefüge – Mutters absolute Dominanz, obschon Marcao sie schlug, wenn er wütend oder betrunken war. Miro, der dachte, er rebelliere gegen Marcao, obwohl es in Wirklichkeit Mutter war. Gregos Gemeinheit – seine Art, mit der Furcht fertig zu werden. Quara, die immer genau das tat, was die Menschen, die ihr wichtig waren, nicht wollten. Ela, die edle Märtyrerin – was konnte sie schon sein, wenn sie nicht leiden konnte? Der heilige, aufrechte Quim, der Gott als seinen Vater gefunden hatte, unter der Voraussetzung, daß der beste aller Väter unsichtbar ist und nie die Stimme hebt.«
    »Das alles haben Sie als Kind gesehen?«
    »Ich bin gut darin, etwas zu durchschauen. Wir Beobachter, die zu niemandem gehören, sehen immer besser. Meinen Sie nicht auch?«
    Valentine lachte. »Ja, das stimmt. Sie glauben also, wir beide spielen die gleiche Rolle? Sie und ich, wir sind Historiker?«
    »Bis Ihr Bruder kam. Von dem Augenblick an, da er durch die Tür schritt, war es offensichtlich, daß er alles sah und verstand, genau wie ich es sah. Es war amüsant. Weil ich natürlich nie an meine Schlußfolgerungen über meine Familie geglaubt hatte. Ich habe nie meinem eigenen Urteil vertraut. Ich dachte sogar, ich sähe die Dinge wegen meiner Augen so eigentümlich. Daß ich, wenn ich echte Augen hätte, sie wie Miro sehen würde. Oder wie Mutter.«
    »Also hat Andrew Ihre Einschätzungen bestätigt.«
    »Mehr als das. Er hat gehandelt. Er hat etwas unternommen.«
    »Ach?«
    »Er war als Sprecher für die Toten hier. Doch in dem Augenblick, da er zur Tür hereinkam, übernahm er… übernahm er…«
    »Verantwortung?«
    »Ja. Er veränderte etwas. Er sah all die Krankheiten, die ich auch sah, doch er begann, sie so gut wie möglich zu heilen. Ich sah, wie er mit Grego umging, mit fester Hand, aber freundlich. Bei Quara reagierte er auf das, was sie wirklich wollte, und nicht darauf, was sie zu wollen vorgab. Bei Quim respektierte er den Abstand, den er aufrechterhalten wollte. Bei Miro, bei Ela, bei Mutter, bei

Weitere Kostenlose Bücher