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Xenozid

Xenozid

Titel: Xenozid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Card Orson Scott
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allen.«
    »Und bei Ihnen?«
    »Er machte mich zum Teil seines Lebens. Tat sich mit mir zusammen. Sah zu, wie ich meinen Stecker herausholte, und unterhielt sich trotzdem mit mir wie mit einem Menschen. Wissen Sie, was das für mich bedeutet hat?«
    »Ich kann es mir vorstellen.«
    »Nein, so meine ich das nicht. Ich gestehe ein, ich war ein hungriges kleines Kind; die erste Person, die nett zu mir war, hätte mich in den Sack stecken und wieder herausholen können. Es geht darum, was er mit uns allen machte. Wie er uns alle anders behandelte und trotzdem er selbst blieb. Überlegen Sie mal, welche Männer es in meinem Leben gab. Marcao, den wir für unseren Vater hielten – ich hatte keine Ahnung, wer er war. Ich sah nur den Schnaps in ihm, wenn er betrunken, und den Durst, wenn er nüchtern war. Den Durst auf Alkohol wie auch den auf Respekt, den er niemals bekommen konnte. Und dann kippte er tot um. Die Dinge wurden augenblicklich besser. Nicht gut, aber besser. Ich dachte, der beste Vater ist der, der nicht da ist. Aber das stimmt auch nicht, oder? Denn mein echter Vater, Libo, der große Wissenschaftler, der Märtyrer, der Held der Forschung, die große Liebe meiner Mutter – er hatte all diese wunderbaren Kinder meiner Mutter gezeugt, er sah, welche Qualen die Familie erlitt, und er unternahm trotzdem nichts.«
    »Andrew hat gesagt, Ihre Mutter habe es nicht zugelassen.«
    »Das stimmt – und man muß seiner Mutter immer gehorchen, nicht wahr?«
    »Novinha ist eine sehr imposante Frau.«
    »Sie glaubt, sie sei die einzige auf der Welt, die jemals hat leiden müssen«, sagte Olhado. »Das sage ich ohne Verbitterung. Ich habe einfach beobachtet, sie ist so voller Schmerzen, daß sie über die Schmerzen eines anderen Menschen nicht sprechen kann.«
    »Sagen Sie beim nächsten Mal etwas Verbittertes. Das ist vielleicht freundlicher.«
    Olhado schaute überrascht drein. »Oh, Sie fällen ein Urteil über mich? Ist das die Solidarität zwischen Müttern oder so? Kinder, die schlecht von ihrer Mutter sprechen, müssen eine Abreibung bekommen? Aber ich versichere Ihnen, Valentine, ich habe es wirklich so gemeint. Keine Verbitterung. Nur Groll. Ich kenne meine Mutter, das ist alles. Sie haben mich gebeten, Ihnen zu sagen, was ich gesehen habe – und das habe ich gesehen. Das hat auch Andrew gesehen. All diese Schmerzen. Er wird von ihnen angezogen. Schmerz zieht ihn an wie ein Magnet. Und Mutter hatte so viel Schmerz, daß sie ihn fast leergesogen hat. Bis auf die Tatsache, daß man Andrew nicht aussaugen kann. Vielleicht ist der Quell des Mitgefühls in ihm unerschöpflich.«
    Seine leidenschaftliche Rede über Andrew überrascht sie. Und gefiel ihr auch. »Sie haben gesagt, Quim habe sich an Gott gewandt, den perfekten unsichtbaren Vater. An wen haben Sie sich gewandt? An keinen Unsichtbaren, glaube ich.«
    »Nein, an keinen Unsichtbaren.«
    Valentine betrachtete schweigend sein Gesicht.
    »Ich sehe alles im Flachrelief«, sagte Olhado. »Meine Tiefenwahrnehmung ist sehr schlecht. Wenn sie in beide Augen Linsen gesteckt hätten, anstatt nur in eins, wäre die Binokularität viel besser. Aber ich wollte den Stecker haben. Wegen der Computerverbindung. Ich wollte die Bilder aufzeichnen, sie mit anderen teilen können. Also sehe ich alles im Flachrelief. Alle Personen kommen mir wie leicht gerundete zweidimensionale Pappgestalten vor, die über einen flachen, gemalten Hintergrund gleiten. In gewisser Hinsicht scheinen alle Menschen etwas zusammenzurücken. Sie gleiten wie Papierblätter übereinander und reiben sich beim Vorbeigehen leicht.«
    Sie hörte zu, aber er schwieg eine Weile.
    »Keinen Unsichtbaren«, wiederholte er dann. »Das stimmt. Ich sah, was Andrew mit unserer Familie angestellt hatte. Ich sah, daß er hereinkam, zuhörte, beobachtete und verstand, wer wir waren, jeder einzelne von uns. Er versuchte, unsere Bedürfnisse herauszufinden und sie zu befriedigen. Er übernahm die Verantwortung für andere Menschen, und es schien ihm nichts auszumachen, welchen Preis er dafür begleichen mußte. Und obwohl er die Familie Ribeira nie normal machen konnte, gab er uns Frieden, Stolz und eine Identität. Stabilität. Er heiratete Mutter und war nett zu ihr. Er liebte uns alle. Er war immer da, wenn wir ihn brauchten, und schien nicht verletzt zu sein, wenn wir ihn nicht brauchten. Er hatte eine feste Hand, wenn er zivilisiertes Benehmen von uns erwartete, setzte aber niemals auf unsere Kosten irgendwelche

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