Xenozid
– ein Mensch konnte erst nach seinem Tod zum Gott eines Dorfes, geschweige denn einer ganzen Welt erwählt werden. Wie sollte man wissen, was für ein Gott er sein würde, bis man sein gesamtes Leben kannte, vom Anfang bis zum Ende?
Als Qing-jao älter wurde, kam ihr dieses Geflüster oft zu Ohren, und das Wissen, daß ihr Vater vielleicht als Gott von Weg erwählt werden würde, wurde zu einem der Leuchtfeuer ihres Lebens. Doch die ganze Zeit über erinnerte sie sich daran, daß es seine Hände gewesen waren, die ihren geprellten und verdrehten Leib zum Bett der Heilung getragen hatten, daß es seine Augen gewesen waren, die warme Tränen auf ihre kalte Haut hatten fallen lassen, daß es seine Stimme gewesen war, die im wunderbar leidenschaftlichen Tonfall der alten Sprache geflüstert hatte: »Mein Schatz, meine ›Strahlend Helle‹, nimm niemals dein Licht von meinem Leben. Was auch geschieht, tue dir nie etwas an, oder ich werde bestimmt sterben.«
Kapitel 4
Jane
›So viele aus deinem Volk werden Christen. Glauben an den Gott, den diese Menschen mit sich gebracht haben.‹
›Du glaubst nicht an Gott?‹
›Diese Frage hat sich nie gestellt. Wir haben uns immer erinnert, wie wir anfingen.‹
› Ihr habt euch entwickelt. Wir wurden geschaffen.‹
›Von einem Virus.‹
›Von einem Virus, den Gott schuf, um uns zu schaffen.‹
›Also bist auch du gläubig.‹
›Ich verstehe den Begriff Glauben.‹
›Nein – du begehrst den Glauben.‹
›Ich begehre ihn genug, um zu handeln, als glaubte ich. Vielleicht ist es das, was Glauben ist.‹
›Oder absichtlicher Wahnsinn.‹
Es stellte sich heraus, daß nicht nur Valentine und Jakt zu Miros Schiff hinüberkamen. Plikt kam auch, ohne Einladung, und richtete sich in einer elend kleinen Kabine ein, die noch nicht einmal groß genug war, daß sie sich richtig ausstrecken konnte. Sie war die Anomalie auf der Reise – kein Familienmitglied, kein Mannschaftsmitglied, aber eine Freundin. Plikt war eine Studentin Enders gewesen, als er auf Trondheim als Sprecher für die Toten gewirkt hatte. Sie hatte ziemlich unabhängig herausgefunden, daß Andrew Wiggin der Sprecher für die Toten war und ebenso der Ender Wiggin.
Valentine begriff eigentlich nicht, warum sich diese brillante junge Frau dermaßen auf Ender Wiggin fixiert hatte. Manchmal dachte sie: Vielleicht beginnen so einige Religionen. Der Stifter sucht nicht nach Jüngern; sie kommen und drängen sich ihm auf.
Auf jeden Fall war Plikt all die Jahre, seit Ender Trondheim verlassen hatte, bei Valentine und ihrer Familie geblieben, hatte bei der Unterrichtung der Kinder und bei Valentines Forschungen geholfen und immer auf den Tag gewartet, da die Familie aufbrechen würde, um Ender zu sehen – ein Tag, von dem nur Plikt gewußt hatte, daß er kommen würde.
Während der letzten Hälfte des Fluges nach Lusitania waren es also vier, die in Miros Schiff reisten: Valentine, Miro, Jakt und Plikt. Das dachte Valentine zuerst zumindest. Erst am dritten Tag nach dem Rendezvous erfuhr sie von der fünften Reisenden, die von Anfang an an Bord gewesen war.
An diesem Tag hatten sich die vier wie immer auf der Brücke versammelt. Sonst konnten sie nirgendwo hin. Das Raumschiff war ein Frachter – außer der Brücke und den Schlafräumen gab es nur eine winzige Kombüse und die Toilette. Der gesamte andere Raum war dazu bestimmt, Fracht zu befördern und keine Menschen.
Valentine hatte jedoch nichts gegen den Verlust der Privatsphäre. Sie ließ es nun mit dem Ausstoß ihrer subversiven Essays ruhiger angehen; sie hatte den Eindruck, daß es wichtiger war, Miro kennenzulernen – und durch ihn Lusitania. Die Menschen dort, die Schweinchen und besonders Miros Familie – denn Ender hatte Novinha, Miros Mutter, geheiratet. Valentine trug natürlich zahlreiche solche Informationen zusammen – sie hätte nicht all diese Jahre als Historikerin und Biographin arbeiten können, ohne zu lernen, wie man aus winzigen Informationsfetzen zahlreiche Schlüsse zieht und Extrapolationen trifft.
Am lohnendsten für sie hatte sich Miro selbst erwiesen. Er war verbittert, wütend und voller Verachtung für seinen verkrüppelten Körper, aber das war nur allzu verständlich – er versuchte noch immer, ein neues Selbstverständnis von sich zu gewinnen. Valentine machte sich keine Sorgen um seine Zukunft – sie sah, daß er sehr willensstark war, ein Mann, der nicht so leicht zerbrechen würde. Er würde sich
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