Xenozid
nicht, die Descolada auf ganz Lusitania zu vernichten. Doch sie war nicht überzeugt, ob es richtig gewesen war, daß sie die Recolada auf den ältesten Exemplaren der Descolada, die sie gesammelt hatten, aufgebaut hatten. Falls die Descolada tatsächlich das kürzlich aufgetretene kriegerische Verhalten der Pequeninos verursacht hatte, ihren Drang, sich auf andere Welten auszubreiten, konnte sie davon ausgehen, die Pequeninos zu ihrem vorherigen ›natürlichen‹ Zustand zurückgeführt zu haben. Doch andererseits stellte dieser vorherige Zustand genauso ein Ergebnis des gaialogischen Ausgleichs der Descolada dar – er kam ihnen nur natürlicher vor, weil sich die Pequeninos in diesem Zustand befunden hatten, als die Menschen auf Lusitania eintrafen. Also konnte sie genausogut davon ausgehen, eine Verhaltensveränderung einer gesamten Spezies herbeigeführt zu haben, die bequemerweise einen Großteil ihrer Aggressivität entfernte, so daß eine geringere Wahrscheinlichkeit bestand, daß sie sich in der Zukunft mit den Menschen in einen Konflikt verstricken würden. Ich mache jetzt gute Christen aus ihnen, ob es ihnen nun gefällt oder nicht. Und die Tatsache, daß sowohl Mensch als auch Wühler mein Vorgehen gebilligt haben, nimmt mir nicht die Last der Verantwortung, falls sich dieses Vorgehen letztendlich zum Schaden der Pequeninos erweisen sollte.
O Gott, vergebe mir, im Leben dieser deiner Kinder Gott gespielt zu haben. Wenn Pflanzers Aiua vor dich tritt, um für uns zu bitten, gewähre ihm das Gebet, das er unserethalben vorbringt – aber nur, wenn es dein Wille ist, daß seine Spezies dergestalt verändert wird. Hilf uns, Gutes zu tun, doch halte uns auf, wenn wir unwissentlich Schaden anrichten. Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Sie wischte eine Träne von ihrer Wange ab und drückte sie gegen die glatte Borke von Pflanzers Stamm. Du kannst dies nicht fühlen, Pflanzer, du bist nicht in dem Baum. Aber ich glaube, daß du es trotzdem fühlst. Gott wird nicht zulassen, daß sich eine so edle Seele wie deine in der Dunkelheit verliert.
Es war an der Zeit zu gehen. Sanfte Brüderhände berührten sie, zerrten an ihr, zogen sie zu dem Labor, in dem Glas im Isolationsraum auf seinen Übergang ins dritte Leben wartete.
Als Ender Pflanzer besucht hatte, war er von medizinischen Geräten umgeben gewesen und hatte auf einem Bett gelegen. Jetzt sah es in der Isolationskammer völlig anders aus. Glas war bei perfekter Gesundheit, und obwohl er mit allen Überwachungsgeräten verkabelt war, war er nicht ans Bett gefesselt. Verspielt und glücklich konnte er kaum seinen Eifer verbergen, daß das Experiment durchgeführt wurde.
Und nun, da Ela und die anderen Pequeninos gekommen waren, konnte es beginnen.
Die einzige Mauer, die seine Isolation aufrecht erhielt, war das Disruptorfeld; außerhalb davon konnten die Pequeninos, die sich versammelt hatten, alle Vorgänge beobachten. Sie waren jedoch die einzigen, die offen zusahen. Vielleicht aus Rücksichtnahme auf die Gefühle der Pequeninos oder vielleicht, um eine Mauer zwischen ihnen und der Brutalität dieses Pequenino-Rituals zu haben, hatten sich die Menschen alle im Labor versammelt, wo sie nur durch ein Fenster und die Monitore beobachten konnten, was mit Glas geschehen würde.
Glas wartete, bis sich die steril gekleideten Brüder neben ihm befanden, mit Holzmessern in den Händen, bevor er Capim aufriß und kaute. Es war das Narkotikum, das es ihm erträglich machen würde. Aber es war auch das erste Mal, daß ein Bruder, der das dritte Leben erwartete, ein einheimisches Gras kaute, das keinen Descolada-Virus enthielt. Falls Elas neuer Virus funktionierte, würde dieses Capim bewirken, was das von der Descolada beherrschte Capim immer bewirkt hatte.
»Wenn ich ins dritte Leben überwechsle«, sagte Glas, »gebührt die Ehre Gott und seinem Diener Pflanzer, aber nicht mir.«
Es war nur angemessen, daß Glas mit seinen letzten Worten in der Brudersprache Pflanzer lobte. Doch seine Großzügigkeit änderte nichts an der Tatsache, daß der Gedanken an Pflanzers Opfer bei vielen Menschen Tränen hervorrief; so schwer es auch sein mochte, die Gefühle der Pequeninos zu deuten, hatte Ender keinen Zweifel, daß viele der Geräusche, die die Pequeninos draußen von sich gaben, ebenfalls einem Weinen entsprachen oder zumindest einem anderen Gefühl, mit dem sie Pflanzers Andenken würdigten. Doch Glas irrte sich, wenn er glaubte,
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