Xenozid
Alter zu bewahren. Von allen Menschen auf Lusitania wußte nur sie allein, warum die Erinnerung an sie in ausgerechnet diesem Alter in seinen unbewußten Gedanken verharrt war. Bis zu dieser Zeit hatte er sich in der Kampfschule befunden und war völlig von seiner Familie getrennt gewesen. Obwohl er es nicht wissen konnte, wußte sie, daß seine Eltern ihn fast vergessen hatten. Natürlich nicht in der Hinsicht, daß es ihn gab, doch als Bestandteil ihres Lebens. Er war einfach nicht mehr da, sie waren nicht mehr verantwortlich für ihn. Sie hatten ihn dem Staat übergeben, waren der Sorge für ihn entbunden worden. Wäre er tot gewesen, wäre er eher ein Teil ihres Lebens geblieben; doch so konnten sie nicht einmal ein Grab besuchen. Valentine machte ihnen deshalb keine Vorhaltungen; diese Einstellung bewies, daß sie nicht unterzukriegen und anpassungsfähig waren. Aber sie war nicht imstande gewesen, es ihnen gleichzutun. Ender war immer bei ihr, in ihrem Herzen. Und als Ender dann, nachdem er allen Herausforderungen begegnet war, die man ihm in der Kampfschule vorgeworfen hatte, entschlossen war, das ganze Unternehmen aufzugeben, war der Offizier, der ihn in ein dienstbares Werkzeug verwandeln sollte, zu ihr gekommen. Hatte sie zu Ender gebracht. Hatte dafür gesorgt, daß sie eine Zeitlang zusammen sein konnten – derselbe Mann, der sie auseinandergerissen und so tiefe Wunden in ihren Herzen zurückgelassen hatte. Sie hatte ihren Bruder damals geheilt – soweit wiederhergestellt, daß er weitermachen und die Menschheit vor der Vernichtung durch die Krabbler bewahren konnte.
Natürlich hat er die Erinnerung an mich in diesem Alter bewahrt; sie ist stärker als all unsere zahllosen Erlebnisse, die wir seitdem gehabt haben. Und wenn seine unbewußten Gedanken ihre intimsten Erinnerungen hervorbringen, dann handelt es sich natürlich um das Mädchen, das ich damals war und das er am tiefsten in sein Herz geschlossen hat.
Sie wußte das alles, sie verstand das alles, sie glaubte das alles. Und doch nagte es an ihr, tat es weh, daß er sie die ganze Zeit über als dieses fast geistlose, perfekte Geschöpf in Erinnerung gehabt hatte. Daß die Valentine, die Ender wirklich liebte, ein Geschöpf von unmöglicher Reinheit war. Um dieser imaginären Valentine willen war er mir all die Jahre, bevor ich Jakt heiratete, ein so enger Gefährte. Bis er zu dieser kindhaften Version von mir zurückkehrte, weil ich Jakt geheiratet habe.
Unsinn. Es brachte nichts ein, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, was dieses junge Mädchen bedeutete. Ganz gleich, wie und warum es geschaffen worden war, es war jetzt da, und man mußte sich mit ihm befassen.
Der arme Ender schien nichts zu begreifen. Er war anfangs sogar der Meinung gewesen, er solle die junge Val bei sich behalten. »Ist sie in gewisser Hinsicht nicht meine Tochter?« hatte er gefragt.
»Sie ist in keiner Hinsicht deine Tochter«, hatte sie geantwortet. »Wenn überhaupt, ist sie meine Tochter. Und es wäre mit Sicherheit falsch, sie allein bei dir aufzunehmen. Besonders, da auch Peter bei dir wohnt, und er ist nicht gerade der vertrauenswürdigste Anstandswächter, den es gibt.« Ender war noch immer nicht völlig überzeugt – er wäre lieber Peter als Val losgeworden –, doch er gab nach, und seitdem wohnte Val in Valentines Haus. Valentine hatte vorgehabt, dem Mädchen eine Freundin und Lehrerin zu werden, mußte jedoch feststellen, daß sie dazu einfach nicht imstande war. Sie fühlte sich in Vals Gegenwart unbehaglich. Sie fand immer wieder neue Gründe, das Haus zu verlassen, wenn Val dort war; sie war außerordentlich dankbar, wenn Ender kam, um sie zu einem Gespräch mit ihm und Peter abzuholen.
Schließlich kam es, daß Plikt stumm in die Bresche sprang und das Problem löste. Plikt wurde Vals wichtigste Gefährtin und Hüterin in Valentines Haus. Wenn Val nicht bei Ender war, war sie bei Plikt. Und an diesem Morgen hatte Plikt vorgeschlagen, ein neues Haus zu bauen – für sie und Val. Vielleicht habe ich zu vorschnell zugestimmt, dachte Valentine. Aber es fällt Val wahrscheinlich genauso schwer, ein Haus mit mir zu teilen, wie umgekehrt.
Doch als sie nun beobachtete, wie Plikt und Val auf den Knien die neue Kapelle betraten und vorwärts rutschten, um vor dem Altar Bischof Peregrinos Ring zu küssen, begriff Valentine, daß sie nichts zu »Vals Bestem« getan hatte, wie sehr sie es sich auch eingeredet hatte. Val war völlig selbstbewußt,
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