Xenozid
irgendwann vorher geschickt. Vielleicht sechs Monate vor der Ankunft – was etwa acht Stunden Schiffszeit sein würde, bevor die Flotte den lichtschnellen Flug aufgibt und zu normaler Geschwindigkeit abbremst.«
»Tue es nicht«, sagte Miro.
»Ich habe mich noch nicht entschieden.«
»Doch, das hast du. Du hast dich entschieden, es zu tun.«
Sie sagte nichts.
»Laß mich nicht allein.«
»Ich lasse meine Freunde nicht allein, wenn es nicht sein muß«, sagte sie. »Einige Menschen tun das, ich aber nicht.«
»Tue es einfach nicht«, sagte er erneut. Er weinte. Konnte sie das irgendwie durch das Juwel in seinem Ohr spüren?
»Ich werde es versuchen.«
»Finde einen anderen Weg. Finde eine andere Möglichkeit, sie aufzuhalten. Finde eine Möglichkeit, dich aus dem philotischen Netz zu bringen, so daß sie dich nicht töten können.«
»Das hat Ender auch gesagt.«
»Dann tue es!«
»Ich kann nach solch einer Möglichkeit suchen, doch wer weiß, ob ich sie auch finde?«
»Du mußt sie finden.«
»Das ist es, weshalb ich mich manchmal frage, ob ich lebe oder nicht. Ihr Lebewesen, ihr glaubt, weil ihr etwas unbedingt wollt, muß es auch geschehen. Ihr glaubt, wenn ihr euch etwas mit ganzem Herzen wünscht, muß es auch eintreffen.«
»Wie kannst du nach etwas suchen, wenn du gar nicht glaubst, daß es existiert?«
»Entweder ich suche, oder ich suche nicht«, sagte Jane. »Man kann mich nicht ablenken, und mir wird eine Sache auch nicht überdrüssig wie euch Menschen. Ich versuche, mir etwas anderes einfallen zu lassen.«
»Denke auch daran«, sagte Miro. »Denke daran, wer du bist. Wie dein Verstand arbeitet. Du kannst kaum eine Möglichkeit finden, dein Leben zu retten, wenn du nicht verstehst, wie dieses Leben überhaupt zustande gekommen ist. Und sobald du dich selbst verstehst…«
»Kann ich vielleicht eine Kopie machen und sie irgendwo abspeichern.«
»Vielleicht.«
»Vielleicht«, wiederholte sie.
Doch er wußte, daß sie nicht daran glaubte, genauso wenig wie er. Sie existierte im philotischen Netzwerk der Verkürzer; sie konnte ihre Erinnerungen in den Computernetzwerken auf jeder Welt und auf jedem Schiff abspeichern) doch sie konnte nirgendwo ihr Selbst ablegen, nicht, wenn dazu ein Netzwerk aus philotischen Verbindungen notwendig war.
Außer…
»Was ist mit den Vaterbäumen auf Lusitania? Sie kommunizieren philotisch, nicht wahr?«
»Das ist nicht dasselbe«, sagte Jane. »Es ist nicht digital. Es ist nicht kodiert wie die Verkürzer.«
»Vielleicht ist es nicht digital, doch die Informationen werden irgendwie übertragen. Es arbeitet philotisch. Und auch die Schwarmkönigin – sie kommuniziert auf diese Art mit den Krabblern.«
»Diese Chance habe ich nicht«, sagte Jane. »Die Struktur ist zu einfach. Ihre Kommunikation mit ihnen ist kein Netzwerk. Sie sind alle nur mit ihr verbunden.«
»Woher willst du wissen, daß es nicht funktioniert, wenn du noch nicht einmal genau weißt, wie du funktionierst?«
»Na schön. Ich denke darüber nach.«
»Bemühe dich«, sagte er.
»Ich kann nur auf eine Art und Weise denken.«
»Ich meine, schenke der Sache Beachtung.«
Sie konnte vielen Gedankengängen auf einmal folgen, doch diese Gedanken waren Prioritäten unterworfen und besaßen viele unterschiedliche Aufmerksamkeitsebenen. Miro wollte nicht, daß sie ihre Selbsterkundung einer niedrigen Aufmerksamkeitsstufe zuteilte.
»Ich werde ihr Aufmerksamkeit schenken.«
»Dann wird dir etwas einfallen«, sagte er. »Bestimmt.«
Sie schwieg eine Weile. Er ging davon aus, daß das Gespräch beendet war. Seine Gedanken begannen abzuschweifen. Er versuchte sich vorzustellen, wie das Leben sein würde, noch immer in diesem Körper, aber ohne Jane. Es konnte sogar geschehen, bevor sie auf Lusitania eintrafen. Und falls es geschah, wäre diese Reise der schrecklichste Fehler seines Lebens gewesen. Indem sie mit Lichtgeschwindigkeit flogen, übersprang er dreißig Jahre Realzeit. Dreißig Jahre, die er mit Jane hätte verbringen können. Dann wäre er vielleicht damit fertig geworden, sie zu verlieren. Aber sie jetzt zu verlieren, nachdem er sie nur ein paar Wochen gekannt hatte – er wußte, daß seine Tränen dem Selbstmitleid entsprangen, doch er vergoß sie trotzdem.
»Miro«, sagte sie.
»Was?« fragte er.
»Wie kann ich über etwas nachdenken, worüber noch nie zuvor gedacht wurde?«
Einen Augenblick lang verstand er nicht.
»Miro, wie kann ich etwas herausbekommen, das nicht
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