Xperten - Der Anfang: Kurzgeschichten
Damals wie heute kann ich nur sagen, ich hoffe, dass ich nicht davonrennen würde, wenn’s darauf ankommt, … und glaube, dass das Nachdenken über mögliche Situationen, aber auch kleine Mutproben – und sei es nur ein »Aufmucken« gegen eine Autorität, dort, wo es gerechtfertigt ist – die Chance erhöhen, dass wir gegebenenfalls »richtig« reagieren.
Das Buch »The Red Badge of Courage« von Joseph Conrad, der »Klassiker« zum Thema Mensch, der befürchtet, notfalls den erforderlichen Mut nicht aufzubringen, und der sich letztlich so mit dem Problem beschäftigt, so an sich arbeitet, dass er es eben doch schafft; oder der tschechische Widerstandskämpfer von George Louis Borges, der sich alle Varianten seiner bevorstehenden Hinrichtung ausmalt, um mit seiner Angst fertig zu werden: Beides sind Beispiele für die Ansicht, dass man das »Mit-der-Angst-und-mit-dem-Tode-fertig-Werden« genauso lernen muss wie alles andere. Wir verdrängen Schmerz, Angst, Tod, ja sogar das Reden oder Lehren über diese so weit, dass wir dann völlig unvorbereitet in Situationen stolpern, denen wir nicht gewachsen sind.
Alle Passanten haben vor einigen Jahren weggesehen, als ein Mensch in der Kärntnerstraße buchstäblich zu Tode getrampelt wurde; wie viele Flugzeugentführungen weniger würde es geben, wenn bei der ersten Gewaltanwendung von Gangstern gegen Passagiere diese geschlossen und ohne Zögern die Verbrecher attackierten … Alle Versuche wären dann zum Scheitern verurteilt. Wir alle sagen heute großartig, dass die vielen »Wegschauer« unter dem Hitlerregime feige gehandelt haben … Wie viele von uns würden sich heute anders verhalten?
Die Journalisten im Teheran-Hilton, die am Morgen um andere Zimmer baten, weil die Todesschreie der Gefolterten sie zu sehr im Schlaf störten, vermutlich nicht. »Lieber rot als tot«, hörte man vor Jahren von vielen als Parole: Sich lieber notfalls einer kommunistischen Diktatur unterwerfen als gegen eine kämpfend sterben, war damit gemeint: Vernünftig oder Egoismus? Egoismus, denke ich, weil der Anspruch auf freies Leben der Kinder und anderer Menschen gering bewertet wird gegenüber dem eigenen Leben. Selbst Bert Brecht hat ja geschrieben: »Was geschieht, wenn sie Krieg machen und keiner geht hin? Dann kommt der Krieg zu dir.« (Wobei der zweite Satz oft bewusst unterschlagen wird.)
Ich plädiere für einen neuen Stellenwert – auch und vor allem in der Erziehung – für Zivilcourage, für das Einstehen wenigstens für Menschen oder »menschennahe« Prinzipien, auch wenn mir das Eintreten für abstrakte Begriffe (»Fahne«, »Vaterland« …) genauso suspekt geworden ist wie den meisten von uns. Ich plädiere dafür, dass wir uns und unser Leben (und je älter wir werden, umso mehr gilt das für jeden von uns) nicht zu ernst nehmen: Begrenzt ist das Leben sowieso!
Mir erscheint die letzte Überlegung, dass »Mut« und »Feigheit« auch in Relation zum Alter bzw. zur Verantwortung gesehen werden sollten, diskussionswürdig. Während ich zum Beispiel von mir erwarten würde, gegebenenfalls auch unter Lebenseinsatz für einen anderen Menschen einzutreten (ob ich dazu allerdings gegebenenfalls den Mut haben würde?), erwarte ich das von einem Familienvater, dessen Angehörige voll von ihm abhängen, nicht: Immerhin bin ich über fünfzig, meine Kinder sind »versorgt«, niemand braucht mich wirklich mehr … und vor einem Herzinfarkt übermorgen bin ich ohnehin nicht gefeit.
9.5 Angst
Anmerkung: Der vorhergehende Beitrag wurde schon online veröffentlicht, zur Diskussion gestellt, und auch zweimal in Druckform publiziert.
Im Beitrag 9.4: »Mut und Feigheit« plädiere ich für mehr »Zivilcourage«. Mehr Leser als ich erwartet hatte, gaben mir recht. Hier nun zwei aus ganz verschiedenen Richtungen kommende Gegenpositionen. Sie stammen aus zwei Büchern, die ich beide für äußerst lesenswert halte.
Im Buch »Nichts und Amen« schildert die Journalistin und Schriftstellerin Oriana Fallaci ihren Einsatz in Vietnam. Sie übernahm ursprünglich die Aufgabe der Berichterstattung in Saigon, weil sie als überzeugte Pazifistin den Krieg (und die Verantwortung der Amerikaner für diesen) anprangern wollte. Bei ihren oft todesmutigen Missionen erlebt sie Furchtbares und tiefste Angst. Gleichzeitig spürt und beschreibt sie ein Phänomen, das wohl die meisten, die je im Krieg waren, erlebt haben, aber kaum jemand den Mut hat oder gehabt hat zuzugeben: Jeder Krieg
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