Yachtfieber
Tag über an derselben Stelle gelegen, weil Pia das Polizeiboot mit Marc nicht verpassen wollte. Der Kapitän hatte sie zwar beruhigt, sie könnten überall aufgespürt werden, aber Pia wollte für den Fall der Fälle trotzdem sofort erreichbar sein.
Kim lag mit vier anderen auf der großen Liegematratze im Heck, sie spielten Backgammon, Karten oder zerstreuten sich mit Modemagazinen. Zwischendurch schwammen sie oder
holten sich einen Drink. Alissa hatte den leisen Verdacht, die vier fanden ihr momentanes Leben recht angenehm, und der Rest war ihnen egal. Aus Kim wurde sie dagegen nicht so ganz schlau. Sie an ihrer Stelle wäre an der Seite der Mutter gewesen.
Aber Kim tat, als sei nichts weiter Aufregendes vorgefallen.
»Der kommt schon wieder«, hatte sie am Nachmittag gesagt, als 55
sie alle am großen Tisch saßen, Tee tranken und zum x-ten Mal die Sachlage besprachen. Sie hatte dafür einen nachdenklichen Blick ihrer Mutter geerntet. Fast kam es Alissa so vor, daß sich Kim ihr gegenüber schämte und ihre Offenheit vom Vormittag durch burschikoses Gehabe überdecken wollte. Aber was war schon gewesen? Sie hatten über Kims Kindheit, ihre Ängste gesprochen. Sie hatte ihr einen Blick hinter die Kulissen des reichen, verwöhnten Mädchens gestattet. Aber dafür waren sie doch Freundinnen, das lag bei Alissa sicher verwahrt. Hatte Kim Angst, sie könnte das als Schwäche auslegen? Ihre Ängste gegen sie verwenden? Sie mußte dringend mit ihr sprechen, aber sie kam nicht an sie heran. Alissa hatte sich an der Vorderseite des Deckhauses auf eine der Liegematratzen gesetzt, als sie plötzlich Pia entdeckte, die wie ein Kind auf dem Bugspriet saß, die Beine umklammert, den Kopf auf die Knie gestützt. Sie tat ihr leid, wie sie dort so alleine saß. Sie verstand wirklich nicht, warum sich Kim ihrer Mutter gegenüber so seltsam benahm.
Sie wollte gerade aufstehen und zu Pia hingehen, als ihr Handy neben ihr piepste. Sie öffnete die Nachricht, dann spürte sie, wie aufgeregt sie wurde: Falk! Sie hatte auf seine letzte SMS nicht geantwortet, obwohl es ihr in den Fingern gejuckt hatte. Dafür hatte sie sie ein ums andere Mal gelesen:
»War schön mit dir, Dank für alles, melde mich wieder, Falk.«
Sie wollte sich nicht aufdrängen, sie wollte, daß der Ball bei ihm lag. Jetzt also war es soweit. Sollte sie es gleich lesen oder das Warten noch ein bißchen zelebrieren? Vielleicht doch erst mit Pia sprechen oder sich wenigstens zuerst ein Getränk holen?
Nein, heute war nicht der Tag, um sich lange auf die Folter zu spannen, heute brauchte sie keinen zusätzlichen Nervenkitzel.
»Was ist denn bei euch los?« las sie. »Stimmt es, was die Zeitung schreibt? Ein Todesfall? Wie geht es dir dabei? Was macht ihr?«
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Es war so schön, daß sich jemand nach ihr erkundigte, jemand mitfühlte. Sie fühlte eine heiße Woge der Dankbarkeit. Ihre Eltern hatten zwar heute morgen ebenfalls angerufen, aber das Telefonat war zu teuer, sowohl für die in Deutschland als auch für Alissa, die das Gespräch im Ausland ja mitbezahlen mußte.
So versprach sie, ihre Schwestern per SMS zu informieren, falls etwas Dramatisches passieren würde. Aber war es nun
dramatisch, daß Marc abgeführt worden war, oder war das in der Türkei reine Routinearbeit und Marc nur der erste von ihnen?
Sie hatte keine Ahnung, also wartete sie erst mal ab.
Trotzdem, das hier war etwas ganz anderes. Falk, der Mann mit den wissenden Augen und dem Lächeln um die
Mundwinkel, erkundigte sich nach ihr. Nach ihr, nicht nach Kim, was ja auch möglich gewesen wäre. Alissa rutschte über die Matratzen zu einem der Masten, sah dabei aus den Augenwinkeln, wie der Kapitän zu Pia ging, lehnte sich bequem gegen das glatte, runde Eichenholz und fing an zu tippen.
Marc hatte zwei Stunden an seinem Text geschrieben, dann mußte er dringend auf die Toilette und machte das seinem Bewacher deutlich, der neu hinzugekommen war und
unbeweglich wie ein Mitglied der englischen Königsgarde an der Tür stand. Der führte ihn in einen übelriechenden kleinen Raum mit einem Loch im Boden und blieb wartend hinter ihm stehen. Jetzt erst wurde Marc seine Situation so richtig bewußt.
»Hören Sie«, sagte er und drehte sich nach seinem Bewacher um, ohne seine Hose geöffnet zu haben. »Ich bin nicht gewohnt, daß man mir beim Pinkeln zuschaut! Ich will das weder in Deutschland noch hier in der Türkei. Also machen Sie gefälligst die Tür zu!«
Er schaute in ein
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