Yachtfieber
und wir stehen da wie die Idioten!« Er verschränkte die Arme. »Wie die Idioten!«
»Du wiederholst dich!« Pia beschattete ihre Augen mit der Hand, schaute dem Polizeiboot hinterher und nahm ihr Handy.
»Jetzt rufe ich doch unseren Anwalt an. Vielleicht weiß der, was zu tun ist!«
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Alissa stand wie alle anderen an der Reling und schaute dem Boot nach, bis es in den Lichtreflexen des Wassers nicht mehr auszumachen war. Dann warf sie Kim einen Seitenblick zu. Sie hielt ihr Gesicht in den Wind, die Augen geschlossen, beide Hände umklammerten die Reling so fest, daß sich die Knöchel weiß abzeichneten.
»Geht’s dir gut?« fragte sie leise. Die anderen waren zum großen Tisch gegangen, nur sie beide standen noch da.
Kim gab keine Antwort, und da hörte Alissa, daß sie summte.
Sie summte ein Kinderlied und wiegte sich leicht in der Hüfte dazu. Sie war völlig in sich versunken, und Alissa blieb deshalb einfach stehen und rührte sich nicht.
»Das habe ich als Kind immer gesungen, wenn ich Angst hatte«, sagte Kim schließlich, ohne die Augen zu öffnen.
»Wenn meine Eltern weg waren und das Haus zu groß und ich in meinem Zimmer war und es tausend Schatten gab, aber niemand, der meine Hand gehalten hat, dann habe ich meinem Teddy dieses Lied vorgesungen. Immer und immer wieder, bis er eingeschlafen ist – und ich auch.«
Alissa war sprachlos. Das hätte sie sich bei Kim nie vorstellen können. Gern hätte sie jetzt ihre Hand genommen, aber sie traute sich nicht.
»War niemand da, wenn deine Eltern weg waren?«
»Doch, schon. Irgendwo im Haus. Keine Ahnung. In
irgendeinem Zimmer. Aber ich war eben alleine, und manchmal hatte ich ganz erbärmliche Angst vor den Schatten.« Sie öffnete die Augen und grinste Alissa herausfordernd an. »Das hättest du nicht gedacht, was? Die toughe Kim hat Angst vor Schatten!«
Alissa hing noch dem eben Gehörten nach und war über Kims veränderte Stimmungslage überrascht. »Nein«, sagte sie langsam. »Das hat nichts damit zu tun, ob du heute tough bist oder nicht, das hat damit zu tun, daß man sich nie Gedanken macht, wie das ist, so ein Leben auf der anderen Seite. Bei uns 48
war es immer zu eng, das hat mich, als ich größer wurde, brutal genervt. Eigentlich hatte ich nie einen wirklich ungestörten Platz für mich. Aber als Kind habe ich mich unglaublich geborgen gefühlt. Wahrscheinlich gerade deshalb. Da war immer jemand ganz nah, mein Kinderzimmer habe ich mit meiner älteren Schwester geteilt, wir haben gequatscht und gealbert, und wenn eine von uns Angst hatte, sind wir ganz schnell zusammen ins Bett geschlüpft.«
Sie schwiegen beide und schauten aufs Meer.
»Hast du jetzt Angst?« fragte Alissa schließlich vorsichtig.
»Ja!« sagte Kim schlicht. »Ich habe Angst, daß Dinge passieren, die wir nicht verstehen und nicht mehr kontrollieren können.« Sie strich ihr Haar zurück. »Ich habe die dunkle Ahnung, daß es da einen Zusammenhang gibt. Aber ich erfasse ihn noch nicht, vielleicht bin ich auch zu phantasielos. Ich sehe nur, daß merkwürdige Dinge passieren, die sich mir nicht erschließen.«
Alissa dachte nach und starrte dabei geradeaus, ohne etwas zu registrieren.
»Du meinst, da müßte sich uns etwas erschließen? Irgendwas müßte uns aufgehen?«
Kim nickte.
»Vielleicht sind es aber auch nur dumme Zufälle?«
Kim schaute sie an. Immer wieder fand Alissa ihre Augen faszinierend, diese bernsteinfarbenen Sprenkel im Mokkabraun, fast wie hingetupft.
»Zufällig ist ein Zeitungsfotograf in der Nähe, wenn Franco seinen letzten Tanz tanzt? Und die türkische Polizei weiß auch schon, daß er hier ist? Und sein Schiff wird aufgebrochen? Und mein Vater wird abgeführt? Wenn es nicht so tragisch wäre, würde ich sagen, es ist so ein durchgeknallter Modefuzzi, der meinen Vater für eine Saison aus dem Weg räumen will.«
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»Wieso denn jetzt deinen Vater?« Alissa runzelte die Stirn.
»Franco ist doch verschwunden. Da müßte es doch einer aus seiner Szene sein. In was für einer Szene ist er eigentlich?«
»Ist er?« Kim drehte sich um, so daß sie die Reling im Rücken hatte, und verschränkte die Arme. »Du meinst doch ›war er‹.
Oder nicht?« Sie erwartete keine Antwort, sondern fuhr fort:
»Seine Szene ist … mein Gott, einfach alles. Überall, wo was los war, war Franco. Rennsport, Mode, Partys, egal. Er war überall dabei. Früher hätte man gesagt, ein Jet-set-Playboy.
Heute ist er, na ja, eben Franco.« Sie
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