Yachtfieber
zum Essen vorbereitet.«
»Aber es ist doch schon so spät!«
Er geleitete sie sanft zu ihrem Sessel zurück.
»Sie werden uns die Freude nicht abschlagen … und in der Türkei spielt die Uhrzeit keine Rolle. Die Nacht ist unsere Freundin!«
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Alissa ließ sich in den Sessel sinken und spürte alle Blicke auf sich ruhen. Mist, dachte sie, wäre ich nur gleich weitergefahren!
Aber zwei Stunden später war Alissa immer noch da: Sie hatte Konversation gemacht, Happen gegessen und festgestellt, daß der Treppenaufgang versperrt war. Wenn sie abhauen wollte, mußte sie den Knopf zur Mechanik finden oder über Bord springen.
Aber noch war sie sich nicht sicher, worauf diese Geschichte hinauslaufen sollte. Sie saß mit fünf Männern alleine in einem Boot; wenn sie spurlos verschwand, wer wollte ihren Weg nachvollziehen? Ein gekentertes Schlauchboot, eine
unvorsichtige Zwanzigjährige, die nachts von einem Schiff abgehauen war, wer wußte schon, was zwischenzeitlich auf der
»Dogukan« los war, ob da nicht längst die Polizei und die Gangster aneinandergeraten waren, ob da überhaupt noch jemand lebte. Und sie saß da und trank Champagner mit zwielichtigen Typen, die ihr immer bedrohlicher vorkamen, je freundlicher sie taten und je näher sie rückten. Bei Yavuz hatte sie das Gefühl, daß er nur noch auf den richtigen Moment wartete. Aber auch die anderen hatten ihre Sessel
herangeschoben. Es waren die sprichwörtlichen Wölfe im Schafspelz, sie hatte Angst und wollte weg.
»Oh!« Alissa war aufgesprungen. »Du lieber Himmel, es ist so spät geworden, meine Eltern werden die Polizei alarmieren, sie sind immer so besorgt um mich!«
Yavuz stand auf, langsam, gelassen. Er trat auf sie zu und nahm sie bei den Schultern.
»Ihre Eltern schlafen sicherlich gut auf der ›Dogukan‹.« Er lächelte. »Es wird Sie sicherlich noch niemand vermissen. Der Tag bricht gerade erst an.«
Alissa wurde steif. »Ich möchte jetzt aber zurück«, sagte sie förmlich.
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»Warum plötzlich so eilig? So hastig?« Er zog sie etwas näher an sich heran. »Wir könnten uns noch ein bißchen vergnügen«, sagte er leise, nah an ihrem Ohr, zu nah an ihrem Körper.
»Oh«, Alissa lachte betont laut auf, »ich bin sehr vergnügt!
Vielen Dank! Aber ich möchte jetzt wirklich nach Fethiye fahren. Es wird hell, ich sehe wieder was, ich danke sehr für Ihre Freundlichkeit!«
Sie trat einen Schritt zurück, strahlte ihn an und streckte ihm ihre Hand hin.
Er ergriff sie, um sie wieder an sich zu ziehen, aber sie entzog sie ihm und winkte den anderen drei Männern zu, die sichtlich unentschlossen in ihren Sesseln saßen.
»Vielen Dank auch!« rief sie in die Runde. »Bis zum nächsten Mal!«
Yavuz stand ihr im Weg, und sie fragte ihn fröhlich:
»Vielleicht wollen Sie mich ja mal besuchen? Ein Gegenbesuch, sozusagen.« Sie kicherte mädchenhaft und dachte, nichts wie weg! Sie lief um ihn herum auf die verborgene Treppe zu und fühlte ihn dicht hinter sich. Wenn er angreifen würde, dann jetzt.
Sie spannte sich, versuchte aber weiterhin die lockere Göre zu spielen.
»In welche Richtung muß ich überhaupt fahren?«
Sie drehte sich mitten im Satz nach ihm um und erschrak über seinen Gesichtsausdruck. Eine steile Falte stand zwischen seinen Augenbrauen, die Augen zusammengekniffen, die Lippen schmal.
»Oder wollen Sie mitkommen?« Sie lachte ihn an und sprang mit einem Satz über die Reling.
Chara lag in ihrem schmalen Bett in dem Zimmer eines Hotels, in das sie schließlich mit den anderen gegangen war, das sie aber bei wachem Verstand niemals gebucht hätte und schon gar 166
nicht zu diesem Preis. Sie hätte sich besser irgendwo an den Strand oder in ein Boot gelegt. Aber jetzt war sie schon mal hier und könnte sich ausschlafen. Wenn sie schlafen könnte. Seit sie in diesem Bett lag, dessen Leintuch ihr fragwürdig vorkam und dessen Matratze Hügel und Dellen wie eine alte Strohmatratze aufwies, war sie hellwach. Sie starrte auf ihr Handy. Warum rief Alissa nicht an? Immer wenn sie es versuchte, landete sie auf der Mailbox. Es war wie verhext. Und daß sie glaubte, auf der anderen Straßenseite wieder einen Kerl in Schwarz zu sehen, machte die Sache nicht relaxter. Chara setzte sich auf die Bettkante und musterte den Steinboden. War das tatsächlich Marmor? Sie spreizte ihre Zehen, bewegte sie einzeln und überlegte, was sie tun sollte. Sie mußte ihre Füße pflegen, die Nägel sahen scheußlich aus. Sie vernachlässigte
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