Yachtfieber
Alissa peinlich gewesen, in die Hosentasche eines fremden Mannes zu greifen, schließlich hatte sie Franco nur einmal gesehen, aber irgendwie waren jetzt alle Regeln außer Kraft. Franco hier oben, in einer
Speisekammer, verschnürt wie eine Weihnachtsgans. Wenn sie sie entdeckten, würde sie gleich genauso daliegen. Sie fand das Messer, klappte es auf und zerschnitt die Streifen an seinen Händen und Oberarmen. Den Rest erledigte er selbst.
»Banditen!« schimpfte er dabei leise. »Pack!« Dann richtete er sich auf. »Oh, mir sind sämtliche Muskeln im Leib
eingeschlafen. Das brennt wie Feuer! Hoffentlich ist das gleich vorbei!«
Er hatte einen ehemals weißen vornehmen Leinenanzug an und sah, wie er so in den Resten der Klebebänder mit ausgestreckten Beinen auf dem Fußboden saß, wie eine seltsame Mumie aus. »Und wie kommst du hierher? Du bist doch die kleine Freundin von der Kim, stimmt’s?«
»Frag dich lieber, wie wir hier wieder rauskommen. Also ich schaffe es durch das kleine Fensterchen«, sie warf ihm einen abschätzenden Blick zu, »aber du?«
Er war nicht wirklich dick, aber massig, und man sah ihm das gute Leben und den Alkohol an, zudem war sein Körperbau von Natur aus kantig. »Na, bravo!« sagte er und begann das 231
Zimmerchen nach einer Waffe abzusuchen, fand aber nur eine Rolle mit Klebeband und eine Rolle Hanfseil. »Vielleicht können wir sie erwürgen«, schlug er lahm vor.
Alissa ging zum Fenster und zog sich hoch. Unten im Hof standen noch immer Chara und Falk und waren über ihr Erscheinen sichtbar erleichtert. Alissa wagte es, formte die Hände zu einem Trichter und schrie »Franco« hinunter. Dann zeigte sie auf ihren Mund und formte lautlos das Wort
»Waffe?«.
Alissa sah, wie Falk unter sein linkes Hosenbein griff und aus einem Wadenhalfter eine Pistole zog. Sie war baff vor Erstaunen, und selbst Chara trat einen Schritt zurück. Aber Alissa fühlte sich wie ferngesteuert. Waren das die
Krisensituationen, von denen man immer hörte, daß manche sie wie ferngesteuert bewältigen und nachher ins Koma fallen? Sie drehte sich zu Franco um und flüsterte: »Schnell die Hanfrolle.«
Er fragte nicht, sondern hielt das Ende der Schnur fest, so daß Alissa die Rolle aus dem Fenster werfen konnte. Falk machte die Hühnerleiter, und Chara stieg an ihm hoch, um Falks Waffe an dem Seil festzumachen.
»Zieh ganz langsam«, sagte Alissa zu Franco. »Da kommt eine Pistole hoch! Und wenn wir die haben, flüchte ich durch das Fenster, und du mußt alleine weitersehen!« Er stand hinter ihr und sagte nichts mehr, Schweißtropfen sammelten sich auf seiner Stirn. Alissa musterte ihn. »He! Du wirst mir doch nicht zusammenklappen?! Das können wir jetzt nicht gebrauchen!«
Sie schaute wieder aus dem Fenster und zog die pendelnde Pistole nach oben, bis sie sie unter dem dicken Sims mit der Hand greifen konnte. Aufatmend zog sie die Waffe herein und machte das Okayzeichen nach unten.
»Und wie bedient man jetzt das Ding? Wenn es nicht schießt, nützt es ja wohl nichts!« Sie kannte sich selbst nicht wieder.
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»Schlitten zurückziehen, damit ist sie entsichert«, sagte er und stützte sich an der Wand ab.
»Mach jetzt bloß nicht schlapp, Mann, es geht um dein Leben!« Alissa lauschte an der Tür. Sollte sie jetzt Franco hier sitzen lassen und ihm die Pistole in die Hand drücken?
Warum nicht, sie hatte alles getan, sie mußte schauen, daß sie wegkam. »Wer ist da noch drin?« fragte sie und wog die Waffe in der Hand. Mörderisch. Sie war entsichert, also Vorsicht.
»Riccardo?« fragte sie.
»Ja! Er wollte mich rausholen!«
»Dich rausholen? Woher wußte er denn, daß du nicht tot bist?«
»Lange Geschichte!«
Alissa betrachtete Franco. War er es überhaupt wert, daß sie hier so viel aufs Spiel setzte?
»Wer noch? Dieser Anastasios?«
»Nein, den holen sie gerade!«
»Na, dann prosit!« Sie schaute ihn an. Er war ein Mann, er war erwachsen. Er mußte selbst sehen, wie er da wieder rauskam.
Und er hatte jetzt eine Waffe. Sie war nicht sein
Kindermädchen. »Ich hau jetzt ab!«
Sie wollte ihm gerade die Pistole reichen, als unvermittelt die Tür aufgestoßen wurde. Ein schwarzer Koloß stand im
Türrahmen und versuchte angesichts des entfesselten Franco gerade einen klaren Gedanken zu fassen, da spürte er einen Waffenlauf an der Schläfe und wurde an Franco vorbei zum Fenster geschoben. Alissa gab Franco mit weit aufgerissenen Augen ein Zeichen, daß er sofort hier raus
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