YANKO - Die Geschichte eines Roma
Raum. Roger trug ein volles Tablett nach dem anderen hinaus und hatte alle Hände voll zu tun. Ron trank schon sein fünftes Bier und versuchte seine Gedanken zu kontrollieren. Doch sie schienen nicht auf ihn hören zu wollen. Er dachte ununterbrochen an Yanko und schaute unbewusst dabei ein paar Männern nach. Er fühlte sich total verunsichert, und er konnte überhaupt nicht verstehen, was plötzlich mit ihm los war.
Das erste Mal, als ihm aufgefallen war, dass er einem Mann hinterherschaute und es ihn erregte, war für ihn ein gnadenloser Schock gewesen. Er hatte in seinem Büro gesessen, als der junge Soldat hereinkam, um ihm ein paar Akten zu bringen. Als dieser sich wieder umdrehte um zu gehen, fiel sein Blick auf dessen knackigen Hintern. Erst als der junge Mann schon Minuten wieder draußen war, bemerkte Ron entsetzt, dass er ihm immer noch hinterhergestarrt hatte.
Ron bestellte noch ein Bier, und seine Gedanken waren auf einmal bei Marianna und seinen Kindern. Er sah den ganzen Alltag vor sich und konnte beim besten Willen einfach nichts finden, mit dem er seine neusten Neigungen hätte erklären können.
Er liebte seine Frau, und fand sie nach wie vor wunderschön. Er war stolz auf seine Kinder, und es fröstelte ihn bei dem Gedanken, sie könnten etwas von seinen geheimen Gedanken erfahren. Er liebte es nach einem anstrengenden Arbeitstag nach Hause zu seiner Familie zu kommen und abends gemeinsam am Tisch zu sitzen, zu essen und die Erlebnisse des Tages auszutauschen.
Für ihn war seine Familie immer das Wichtigste gewesen.
Ein Schauer der Erregung lief auf einmal durch seinen Körper, als wieder ein Bild von Yanko in seinem Kopf auftauchte, und er schämte sich in Grund und Boden dafür. Yanko war doch sein bester Freund und mit Sicherheit alles andere als schwul, auch wenn er vor Jahren mal eine kurze Affäre gehabt hatte.
War er denn jetzt schwul? Ihm wurde regelrecht schlecht bei diesem Gedanken, und er orderte sofort einen Whisky, den er dann in einem Zug austrank, um das würgende Gefühl loszuwerden.
Ron beschloss in dieser Sekunde mit Yanko nie wieder darüber zu sprechen.
D er Geruch von gemähtem Gras stieg ihm in die Nase, und er sog ihn ein, als könnte man ihn trinken. Yanko liebte diesen Geruch. Er ging zu seiner grau gesprenkelten Stute und streichelte ihren Hals und fuhr ihr mit der Hand durch die lange Mähne. Er dachte dabei, dass sie sich ruhig mal kämmen könnte und musste bei dieser Vorstellung lachen. Sie schien seine Gedanken lesen zu können und schnaubte demonstrativ als Antwort, dann stupste sie ihn sanft mit ihren Nüstern. Es war schon immer Balsam für seine Seele gewesen sich auf sein Pferd zu schwingen und auf dem blanken Pferderücken über die Wiesen und durch die Wälder zu reiten. Die gigantische Bergkulisse rund um Sheddy brachte zudem Klarheit in seine oftmals rotierenden Gefühle und Gedanken. Was auch immer geschah, in der Natur fühlte er sich sicher. Sie beruhigte ihn.
Und hier in Sheddy war er zu Hause. Endlich.
Obwohl er sich früher, außer in der Zeit in der er in Deutschland war, nicht heimatlos gefühlt hatte, wuchs das Bedürfnis in ihm, seit Fam nicht mehr bei ihm war, irgendwo Wurzeln zu schlagen. Sheddy war für ihn eine Art Anker geworden, der ihm ermöglichte irgendwie allein zurechtzukommen. Vielleicht war es auch etwas in seiner Familie, das sich nach Beständigkeit sehnte, waren sie doch alle Zirkusmenschen gewesen, immer auf Reisen, immer unterwegs. Selbst wenn sie im Winter einige Monate an einem Platz geblieben waren, hatte es doch immer schon die Pläne für das nächste Jahr gegeben, und in Gedanken war man schon Monate vorher dort gewesen.
Die Erinnerungen an den letzten Winter in Barcelona, damals als sein Vater schon tot war, lagen ihm immer noch wie eine schwere Faust im Magen. Es war an einem Montag gewesen, als der Mann mit der Aktentasche in diesem feinen Anzug gekommen war und seine Mutter aus dem Wohnwagengeklopft hatte. Sie hatte die zwei Jungs sofort hinausgeschickt, aber sie hätten auch genauso gut dabeibleiben können, ahnten sie doch eh was dieser Besuch zu bedeuten hatte. Sie hatten sich draußen auf einen Stein gekauert, der nicht unweit von ihrem Wohnwagen gelegen hatte und wie gelähmt vor sich hingestarrt. Keith hatte vom Boden ein paar Kieselsteinchen aufgesammelt und sie unmotiviert vor sich hingeworfen. Ab und zu hatten sich die Brüder angesehen und sich dabei völlig hilflos und ohnmächtig der Situation
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