YANKO - Die Geschichte eines Roma
gezählt, bis wir uns wiedersehen...“, versuchte Yanko den wahren Grund scherzhaft zu erklären. „Ich wusste, du bist nicht ganz dicht!“, bemerkte Ron dazu schmunzelnd. „Vollsuff und Fam...”, gab Yanko schließlich zu, und Ron wurde wieder ernst. Sie schauten sich in die Augen, und Ron strich mit einer Hand Yanko eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Dich kann man wirklich nicht allein lassen!”, sagte er leise.
„Komm jetzt!”, sagte Yanko und sprang auf. Er hatte überhaupt keine Lust auf Trübsal und irgendwelche schmerzhaften Gedanken an Fam, die ihn jetzt nur runterziehen würden. Er freute sich so sehr, dass Ron endlich wieder hier war, und er wollte es in vollen Zügen genießen.
„Wohin?“, fragte Ron. „Reiten!“ Ron sprang auch auf, und sie gingen zu den Pferden. Sie legten dem Pinto und dem Braunen ihre Halfter an, schwangen sich auf die Pferderücken und galoppierten davon.
D as nächste Familientreffen begann ungewöhnlich ruhig und alle bemühten sich freundlich zu sein und gute Stimmung zu bewahren. Nur Keith starrte abwesend vor sich hin und schien nichts um sich herum mitzubekommen. Er war unrasiert und hatte ein abgewetztes Hemd an, das für seine Verhältnisse sehr weit geöffnet war. Yanko konnte die Kette mit dem Kreuzanhänger, die Keith damals von ihrem Vater zum vierzehnten Geburtstag bekommen hatte, jetzt deutlich sehen, und es machte ihn nachdenklich. Er hatte sie schon lange nicht mehr gesehen. Zu seinem vierzehnten Geburtstag hatte er auch so eine Kette bekommen, nur an seiner war das Romarad als Anhänger dran. Er hatte sie schon lange nicht mehr angehabt, und er fragte sich, warum, und wo sie überhaupt war. Er musste sie unbedingt suchen.
Yanko beobachtete seinen Bruder lange, und ab und zu ließ er seinen Blick in die Runde schweifen. Jeden einzelnen schaute er sich genau an, wie wenn er auf den Grund ihrer Seelen blicken wollte. Er hörte plötzlich nur noch ein Einheitsgemurmel und fühlte sich wie im Nebel. Alles kam nur gedämpft zu ihm durch und doch war sein Verstand glasklar. Sein Leben zog in Bruchstücken an ihm vorbei, und er sah dabei Fetzen aus seiner Kindheit, vom Meer, vom Strand an dem sie immer herumgetobt hatten, vom Zirkus, von seinem Vater, von Keith wie er auf den Pferden dahingeflogen war, von dem Tag am Bahnhof in Freiburg, von Stefan, von Manuel, von Kenia, von Keith und Mabel, von John und Mary und ihren Kindern, von dem Haus hier in Sheddy, von ihren Familientreffen, von der Zeit mit Keith in Spanien und Griechenland, von ihrem Winterquartierplatz in Barcelona, von dem schönen, blau-rot gestreiften Zelt. Alles drehte sich in seinem Kopf, und es ließ sich weder aufhalten noch in Worte fassen. Es lief einfach in seinem Inneren ab.
Schließlich blieb sein Blick wieder an Keith haften, der ihn kurz müde ansah. Auf einmal kam Kenia angerannt und wollte sich auf Yankos Schoß setzten. Er hob sie hoch und knuddelte sie kurz, dann setzte sie sich zufrieden und strahlte in die Runde. Schließlich sah Yanko zu Manuel hinüber.
Alles schien nur noch in Zeitlupe abzulaufen.
Bis das Rad stehen blieb.
Auf einmal wusste er es. Es war so glasklar und so zum Greifen nah, dass er sich wunderte wieso er nicht schon früher darauf gekommen war. Ihn schauderte es kurz, und er musste sich fast schütteln.
Dann stand Yanko auf, setzte Kenia bei John auf den Schoß und flüsterte Keith ins Ohr, er möge bitte mal mit nach draußen kommen. Keith schreckte auf, weil er so in Gedanken versunken war, stand aber nach kurzem Zögern auf und folgte Yanko hinaus in sein Arbeitszimmer.
Keith hoffte, dass Yanko nicht mehr wütend war und ihn deswegen zu einer Unterredung mit hinaus genommen hatte. Ihm war jetzt überhaupt nicht nach streiten oder diskutieren zumute. Er fühlte sich total gerädert, denn er hatte in den letzten beiden Nächte wieder kaum geschlafen. Um vier Uhr morgens hatte er sich noch zwei Flaschen Wein reingezogen und war dann auf dem Sofa für ein paar Stunden eingenickt. Manchmal hatte er von der Frau aus Newly geträumt und sich ausgemalt, wie es wäre mit ihr zusammen zu sein. Er war nah dran gewesen sich wieder bei ihr zu melden. Irgendwie fehlte sie ihm, aber er hatte ja Schluss gemacht. Er konnte seine Familie einfach nicht verlassen. Er genoss die Sicherheit, die sie ihm bot und war froh seine ganze Familie um sich zu haben. Auch wenn Yanko nicht bei ihnen wohnte, so war er wenigstens in der Nähe. Als Fam noch lebte, war das besser
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