Yofi oder Die Kunst des Verzeihens – Ein Nashorn lernt meditieren
nachkommen«, grölte Yofi und sprengte davon. »Wir treffen uns dann am Strand.«
Nach einer Weile bemerkte er, dass das Wasser nicht näher kam. Ihm schien, als würde es sich genau so weit entfernen, wie er darauf zu rannte. Dann verschwand es. Aufgebracht blieb er stehen.
»Das war eine Fata Morgana«, sagte Meru, der langsam gefolgt war.
Geduldig erklärte er alles, was er über Luftspiegelungen wusste.
»Man sieht oft etwas, das nicht da ist.«
Yofi war noch so enttäuscht, dass er gar nicht richtig zuhörte.
Am Nachmittag stapften sie über eine hohe Düne. Als sie die höchste Stelle erreicht hatten, entdeckten sie eine Oase: ein kleiner See, Palmen, Grasbüschel. Yofi wollte wieder lospreschen. Unsicher blickte er den Großvater an, der das Tempo beibehielt, als wäre nichts.
»Wieder eine Täuschung?«
Meru rannte los.
»Nein«, rief er feixend. »Aber ich will vor dir im Wasser sein!«
Sie badeten und tranken ausgiebig. Danach stillten sie ihren Hunger. Den Rest des Tages ruhten sie im Schatten.
Die Nacht war kühl. Die beiden Nashörner schauten lange zum Himmel und beobachteten die Sterne.
*
Am Morgen, kurz nachdem sie losmarschiert waren, zog heftiger Wüstenwind auf. Yofi hatte große Mühe, sich zu orientieren.
»Ich weiß nicht mehr, woher wir gekommen sind«, brüllte er gegen das Tosen an.
Man konnte ihn kaum verstehen.
»Das macht nichts«, rief Meru. »Wohin willst du jetzt ?«
Yofi erkannte kaum etwas von der Umgebung. Er versuchte, das Brausen zu ignorieren und seiner inneren Stimme zu lauschen. Sobald er sie leise hörte, tauchte eine Sorge auf:
Was, wenn es mich in die falsche Richtung zieht?
Meru fragte:
»Warum zögerst du?«
»Ich will nicht, dass wir uns verirren. Sonst laufen wir vielleicht wieder zurück.«
»Gelegentlich kommt man nur vorwärts, wenn man sich ein Stück retour bewegt.«
Er weiß schon wieder alles besser!
Yofi seufzte und kämpfte gegen den Sturm an.
Am Mittag flaute der Wind ab. Bald darauf ließen die beiden Tiere die Wüste hinter sich und durchquerten trostlose Steppe.
*
Langsam, fast unmerklich, wurde die Landschaft wieder fruchtbar, das Gras saftig. Yofi versuchte sich jeden Morgen zu besinnen. Außer, dass er Kröten mit der Zeit hasste, passierte nicht viel. Aber er gab nicht auf. Er wollte herausfinden, was an der Zeremonie so wichtig sein sollte.
Vater hat es ja auch geschafft.
»Willst du einen Rat?«, fragte Meru einmal, als sich die ersten Sonnenstrahlen ankündigten.
Yofi nickte. Er wusste ohnehin nicht genau, was er machen sollte, wenn er so da stand.
»Achte darauf, was du siehst.«
»Mit geschlossenen Augen?«
»Versuch es mal.«
Yofi senkte die Lider.
Er wartete.
Schon hörte er die Kröten.
Schon ärgerte er sich.
Jedes Mal das Gleiche. Mistviecher!
Gerade als er »Mistviecher« dachte, huschte ein Bild durch seinen Kopf: Er sah sich selbst, wie er zornig auf den Kröten herumtrampelte. Unmittelbar darauf fiel ihm Antros ein.
Ich hätte ihn besiegt.
Nun sah er, wie Antros und er aufeinander zu stürmten.
Sein Herz klopfte.
Er bohrte dem ehemaligen Freund das Horn in den Hals.
Er spürte einen Druck in der Kehle.
Das Großmaul will nur Sara beeindrucken!
Jetzt lächelte sie den Feind an und zwinkerte ihm zu. Yofi kochte. Er öffnete die Augen und rumpelte davon.
»Hast du etwas gesehen?«, fragte Meru später.
»Allerdings. Erst die Kröten, dann das Ekelpaket Antros – woher kommen diese Bilder?«
»Sie sind immer da.«
»Das glaube ich nicht!«
»Es ist wie mit den Kröten. Man bemerkt sie erst, wenn man auf sie achtet.«
An einem Waldhügel trafen sie eine Gruppe Nashörner. Nachdem sich die fremden Tiere vergewissert hatten, dass Großvater und Enkel in friedlicher Absicht unterwegs waren, durften sie näher kommen.
»Ihr wollt ans Meer?«, fragte eine ältere Nashornkuh.
»So ist das Leben«, antwortete Meru.
»So ist das Leben«, wiederholte die Kuh. »Übrigens: Wir haben Nachwuchs. Alles ist gut gegangen.«
»Wer weiß schon, was gut ist und was schlecht«, murmelte Meru.
»Du mit deinen Weisheiten.«
Sie führte ihn und einen gelangweilten Yofi zu einem jungen Weibchen, das gerade gekalbt hatte. Das Nashornbaby konnte sich noch nicht alleine auf den Beinen halten und fiel immer wieder um. Am Boden liegend machte es ein erschrockenes Gesicht, als wolle es gleich losheulen. Doch als es bemerkte, dass alle freundlich lachten, lachte es mit. Es stand wieder auf und versuchte tapfer, stehen
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