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Yolo

Yolo

Titel: Yolo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisela Rudolf
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entsprechend ein. Wenn wir uns aber auch nur ein paar Schritte von unserem Standpunkt weg wagen, ist der Blickwinkel anders, ja völlig neu. Das ist es, was jedem von uns bewusst werden sollte: Solange wir leben, ist vielleicht nicht alles, jedoch sehr vieles möglich, und zwar nicht erst morgen, nicht nächste Woche, nicht in einem Jahr – sondern in der Gegenwart. Nur das Heute zählt.«
    DeLauro hält inne: »Oh, bitte verzeihen Sie, ich beginne zu dozieren … Zurück zu Ihrer Frage: »Sie war doch gar nicht intim, was wollten Sie wirklich fragen?«
    »Sie machen trotz allem, was Sie erlebt haben, einen zufriedenen, ja glücklichen Eindruck auf mich. Sind Sie es wirklich?«
    DeLauro lächelt, nickt.
    Ich stelle meine nächste Frage: »Glauben Sie an ein Schicksal?«
    »Sie wollen meine ehrliche Meinung hören? Fatalistisch kann nur ein Gläubiger sein – oder ein Feigling.«
    Zum Abschied gibt mir der Signore einen Kuss auf die Stirn. Buona notte. Auch ich wünsche ihm eine gute Nacht.
    Ich nehme meinen väterlichen Freund mit in den Traum. Er sitzt an meiner Seite, wir sind im Lehrerzimmer, und ich frage ihn, ob er sich vor den vielen Krähen am langen Tisch nicht fürchtet. Lächelnd nimmt er meine Hand und sagt: Das sind keine Rabenvögel, das sind deine Kolleginnen und Kollegen. Ich entziehe ihm meine Hand und halte sie schreiend vors Gesicht. DeLauro flüstert mir ins Ohr: Die hacken dir kein Auge aus, im Kampf um das Revier wollen die nur deinen Nachwuchs verspeisen.
    Mein Widerwille gegenüber Psychiatern bäumt sich an diesem Morgen dermaßen auf, dass ich eine Viertelstunde zu spät bei Moeller erscheine. Statt irgendetwas zu bemerken oder wenigstens auf die Uhr zu blicken, tut er noch beschäftigter als üblich. Nachdem ich mich auf dem Patientenstuhl artig einige Minuten geduldet habe, kommt er hinter seinem Pult hervor und setzt sich auf einen Stuhl mir gegenüber. Zwischen uns steht nur noch ein tiefer kleiner Glastisch.
    »Baut das Schranken zwischen Arzt und Patient ab?«, frage ich ihn.
    Moellers milder Blick soll wohl die Großmut eines Wohltäters ausdrücken. Aber du tust mir nicht wohl, du Halbgott in Jeans, oder ist genau das der Trick deiner Therapie? Dass du mit deiner fehlenden Empathie die Patientin zur Gegenwehr herausforderst, so nach dem Motto: Was mich nicht killt, macht mich stark. Wer mich ärgert, den greife ich an …
    »Was denken Sie?«
    »Ich?«, frage ich, als beteiligten sich noch andere an unserem wortlosen Zwiegespräch. »Ich versuche Ihre
Therapie, die verbleibende Kräfte und Ressourcen des Patienten stärkt
, so zu interpretieren, dass ich sie verstehe.«
    »Die Hälfte unserer Gesprächszeit ist schon bald um …«
    »Ja, verzeihen Sie, ich lenke Sie ab.«
    »Vor allem lenken Sie von sich selbst ab, Frau Dornbach. Was haben wir wirklich auf dem Herzen?«
    »Wir zwei?«
    Möller ist mit mir gar nicht zufrieden.
    In den restlichen zwanzig Minuten habe ich den Psychiater ein bisschen versöhnt. Ich erzählte ihm, es sei wohl sein positiver Einfluss, dass ich nicht mehr im Sinn hätte, meine Stelle als Gymnasiallehrerin zu kündigen, »denn es ist schon so, solche Dinge sollte man nicht impulsiv entscheiden«.
    Die Wahrheit ist ein bisschen anders: Ich habe meine Kündigung bloß zerrissen, weil sie langfädig und kompliziert abgefasst war.
    Ich schreibe sie neu.
    Auch in meine Agenda schreibe ich noch einen Satz. Ich glaube, er stammt sogar von Moeller:
Vernünftig ist, wer bereit ist, Grenzen zu akzeptieren
.
    Je länger ich allerdings über den Satz nachdenke, desto weniger imponiert er mir. Schließlich ringe ich mich zum Gegenteil durch:
Grenzen lassen sich auch erweitern
. Fasziniert blicke ich auf diese Erkenntnis. Mir ist, als hätte ich meiner Agenda ein Versprechen anvertraut.
    Kroner ist beim Nachtessen aufgeräumt. Er hat etwas abgenommen, kann die Diät lockern, genießt zur Feier des Abends Weins. Unerlaubterweise, »aber was soll’s, die Zigarette im Park ist auch verboten.«
    Tanja und ich sollen mittrinken. DeLauro begnügt sich mit Wasser, bei ihm steht morgen früh eine spezielle Untersuchung an. Trotzdem hebt er sein Glas, wendet sich mir zu: »Auf das Heute!« Und an alle gewandt: »Evviva la vita!«
    Da die Pfeffermühle nicht richtig zugeschraubt war, ist die Lasagne von Tanja plötzlich mit einer braunen Schicht bedeckt. Wir lachen, und DeLauro ruft eine Serviertochter herbei. Tanja begießt das Malheur mit einem Schluck Wein.
    Kroners

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