Yolo
Redseligkeit mündet in seine traurige Familiengeschichte. Bei der Trennung von seiner Frau hat sich die Tochter nach Neuseeland abgesetzt, und der Sohn hängt an der Nadel.
»Wie ich Sie, Herr Kroner, einschätze«, bemerkt DeLauro, »sind Sie keiner, der resigniert. Sobald Sie sich von Ihrem Infarkt erholt haben, werden Sie Mittel und Wege finden, den Kontakt zu Ihren Kindern wieder aufzunehmen.«
»Danke, das sind die Worte eines Freundes. Um Sie und die beiden Damen nicht ohne Happy End zurückzulassen, muss ich wohl noch eine Ergänzung machen: Also, meine Frau ist zu mir zurückgekommen – oder sagen wir realistischer: Ich habe sie zurückgenommen. Wissen Sie, das Junggesellentum ist anstrengender, als Sie denken, ich kann weder kochen noch waschen noch bügeln.«
»Ja, ja«, sagt Tanja, »ohne uns ist das starke Geschlecht gar nicht mehr so stark.«
Bis zur Nachspeise verkürzen wir uns mit Geplauder die Zeit.
Auf dem Weg zurück ins Zimmer spüre ich, beflügelt durch den Wein, eine gewisse Leichtigkeit. Nach einigem Zögern suche ich den Zettel mit der Telefonnummer meines Schülers Tibor.
Am Apparat ist seine Mutter ist. Sie weiß, wer ich bin, noch bevor ich etwas erklärt habe. Eine eindringliche Stimme redet sofort auf mich ein: »Frau Dornbach, ich bitte Sie von Herzen, mit Bori zu reden. Er hat … Ah, da kommt er. Moment bitte.«
Kurz bin ich versucht, die Verbindung zu kappen, doch schon ist Tibor zur Stelle.
Es geht ihm nicht um das drohende Provisorium, »die Noten sind mir scheißegal«. Worum es wirklich geht, will er am Telefon nicht sagen. Dass er mich nicht beim Vornamen nennt, zeugt von einer Distanz, die mir angenehm ist. Abwimmeln lässt er sich indes nicht, er muss mich besuchen, sagt er, unbedingt. Er insistiert.
»Gleich morgen, bitte! Morgen habe ich nur bis elf Schule. Ich komme nur kurz, versprochen. Morgen Nachmittag?«
»Also, meinetwegen morgen Nachmittag. Warte, ich gebe dir die Adresse.«
Die hat er schon, und zwar von Christian.
Statt nun noch Chris anzurufen und ihn mit Vorwürfen zu überhäufen, schlüpfe ich wieder in die Jeans und gehe in den nächtlichen Park.
Beim Bootshaus ist jemand.
Jutta?
Sie sitzt im Schneidersitz auf einer Bank, und zwar an deren Ende, nicht in der Mitte, auf sie fällt das schräge Licht des Spots im Gras, was dem Bild etwas Gespenstisches gibt.
»Wie geht es dir, fühlst du dich wieder gut?«
»Soso lala. Und du? Schlecht geträumt, dass du im Pyjama hier herum läufst?«
In der Eile des Aufbruchs habe ich tatsächlich das Oberteil des Schlafanzuges anbehalten.
»Ich habe eigentlich nicht damit gerechnet, hier noch jemanden anzutreffen. Ich wollte bloß etwas Luft schnappen, ich kann nicht einschlafen … – Am liebsten würde ich abreisen, und zwar sofort!«
»Was ist denn geschehen?«
»Mein Partner hat einem Maturanden aus meiner Klasse die Adresse dieses Kurhauses gegeben, und nun kommt der, morgen schon.«
»Freu dich doch! Ich würde mich über den Besuch eines jungen Verehrers freuen!«
»Hör schon auf, es ist doch ganz anders!« Durcheinander, wie ich bin, muss sich nun auch noch Jutta meine Schuldgefühle um Sonjas Suizid anhören.
»Also wird dich dieser junge Mann morgen mit Vorwürfen überhäufen. He, das tust du dir nicht an! Ja, komm, lass uns abhauen, dann bist du den komischen Vogel los.«
»Das meinst du nicht im Ernst!«
»Warum nicht?«
»Du bist verrückt.«
»Und du langweilig.«
Jutta hätte auch gleich
gewöhnlich
oder
bieder
sagen können.
»Lass es uns wenigstens als Gedankenspiel durchdenken: Was hindert uns daran, dieser Tristesse zu entfliehen, und wenn es nur für ein, zwei Tage wäre! Kein Mensch kann uns zurückhalten.«
»Wo willst du denn hin?«
»Irgendwo ans Meer. Vielleicht ist es das letzte Mal, dass ich im Meer schwimmen kann. In Italien ist noch Sommer. Genua zum Beispiel. Ich habe im Spital einen Genuesen kennengelernt, guter Typ …«
»Dann schon lieber Florenz. «
Jutta ereifert sich: »Siehst du, schon haben wir ein Ziel!«
»Jutta, du bist ein Phantast! Würde ich ernsthaft irgendwo hin wollen, wäre es höchstens nach Hause.«
»Was willst du denn daheim! Etwa deinem Partner danken, dass er dich an deine Schüler verrät?«
»Nun übertreibe mal nicht. Im Grunde genommen haben Chris und ich es miteinander gut. –
Ich mache dir einen Vorschlag. Wenn du fort willst, kannst du meinen Wagen haben. Aber jetzt bin ich müde, ich will ins Bett.«
»Ich nicht, ich
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