You are Mine
selbst spürte.
Ein Kollektiv junger Künstler und Schriftsteller – einige Aussiedler aus Russland, andere tatsächlich aus Berlin – hatte sie aufgenommen, nur allzu bereit, stundenlang ihre Ideen über die Avantgarde darzulegen, zu vertreten, wie edel es war, für seine Kunst zu leiden oder über die Vorzüge guten, russischen Wodkas zu sprechen. In Berlin hatte sie gelernt, mit einem Pinsel umzugehen, die Kunst einzusetzen, um den Aufruhr in sich sichtbar zu machen und ihn zu beruhigen. Die Stadt wurde zur Ausgangsbasis, von der aus sie immer wieder Erkundungsreisen unternahm, und auch zum Ruhepol, an den sie müde und übersättigt zurückkehren konnte. Dort hatte dann für mehrere glückliche Wochen am Stück ihre gesamte Welt aus einem kühlen, von Kerzen beleuchteten Ausklappsofa bestanden, aus einer Handvoll Café-Bars, die Hochprozentiges und billiges Essen anboten, und aus den leerstehenden Lagerhäusern, die ihre Künstlerfreunde als Studios, Wohnungen und öffentliche Galerien besetzt hatten.
Und langsam, mit der schleichenden Mühelosigkeit von langgehegten Gewohnheiten und nicht hinterfragter Zuneigung war Berlin zu dem geworden, dem sie so lange ausgewichen war.
Berlin war zu einem Zuhause geworden.
» Meinem Zuhause«, flüsterte Madigan.
Ich fühlte einen Stich des Verlustes, als ich sie mir dort vorstellte. Nach der Art, wie sie darüber sprach, war klar, dass sie dorthin zurückkehren würde. »Aber warum bist du dann nach Melbourne zurückgekommen?«
»Huh! Frag doch meinen Vater, wie wär’s?« Sie rammte ihre Gabel in die Reste ihres Omeletts und verwandelte es in eine Masse aus geronnenen Klumpen. »Er hat verlangt, dass ich zurückkomme, hat erklärt, er wäre es leid, dass ich durch die Welt tingle wie eine Stewardess.«
»Hättest du nicht Nein sagen können?« Mir fiel es schwer, mir vorzustellen, wie Madigan gegen ihren Willen zu irgendetwas gezwungen wurde.
Sie seufzte. »Mit meinem Vater ist es nie so einfach.«
Und da war es wieder, das Gefühl, dass mir immer noch ein Puzzleteil fehlte, dass es eine kleine, aber wichtige Information gab, die sie mir nicht mitteilte. Verwirrt nippte ich an den Resten meines Kaffees und versuchte, nicht das Gesicht zu verziehen, als das inzwischen kalte und gar nicht mehr gutschmeckende Getränk durch meine Kehle glitt.
»Es gab zwei Bedingungen«, fuhr Madigan fort und zählte sie an ihren Fingern ab. »Erstens, dass ich bei ihm und Bailey in Melbourne lebe; zweitens, dass ich etwas Konstruktives mit meiner Zeit anfange, während ich hier bin – wobei man bedenken muss, dass im Kopf meines Vaters ›konstruktiv‹ gleichbedeutend ist mit entweder ›Arbeit‹ oder ›Studium‹.«
»Und du hast dich entschieden für …«
»Die Uni. Einen Abschluss in bildender Kunst.« Sie grinste. »Na ja, ich habe mich wirklich bemüht, etwas noch weniger Konstruktives zu finden, aber der Masterstudiengang in fortgeschrittener Nabelschau war schon voll.«
Ich lachte. »Gefällt es dir nicht?«
»Oh, ich weiß nicht.« Sie zuckte mit den Achseln. »Die Theorie ist langweilig und sie haben noch nicht mal von einem der Leute gehört , die ich in Berlin kannte, aber die praktischen Fächer sind nicht so schlecht. Ich kann etwas schaffen, ein wenig experimentieren. Es füllt den Tag aus, oder?«
»Erzähl mir davon.« Mir, dem geheimen Meister des Tagefüllens, der Zeitverschwendung, mein Leben eine Ansammlung von unbedeutenden Trivialitäten. »Hey, glaubst du …«
»Oh, Dreck!«
Ich hatte gerade vorschlagen wollen, dass wir einen Tag gemeinsam verbrachten – vielleicht mit einem Ausflug an die Küste oder dem Bummeln durch die Galerien der Innenstadt, wenn ihr das lieber war –, aber Madigan schaute bereits auf ihre Uhr, während sie die rechte Hand hob, um die Rechnung zu verlangen. »Tut mir leid, Lexi, ich muss los. Mein Bildhauer-Kurs fängt in zehn Minuten an und ich sollte wirklich versuchen, den Großteil davon mitzubekommen.«
Eine dumpfe Panik stieg mir in die Kehle. Die abrupte Art, wie sie ihre Sachen zusammensammelte, wirkte einfach zu desinteressiert. Ich stellte fest, dass mir die Worte fehlten; dass ich sie nach ihrer Telefonnummer fragen wollte, aber zugleich Angst hatte, dass ich zu verzweifelt, zu überstürzt klingen würde. Ich hatte Angst, dass sie Nein sagen würde, es wäre wunderbar gewesen, sich mal zu sehen und über alte Zeiten zu reden, aber vielleicht sollten wir es besser dabei belassen.
Ich hatte Angst, sie
Weitere Kostenlose Bücher