You are not alone - Mein Bruder Michael Jackson (German Edition)
bewegte. Motown verpasste uns zudem unterschiedliche, von der Marketing-Abteilung leicht zu transportierende Identitäten, damit unser junges Publikum sich für einen Liebling entscheiden konnte: Jackie war nun offiziell der Sportler, Tito der Tüftler, Marlon der Tänzer, Michael der supertalentierte Kleine und ich der Herzensbrecher. Motown zielte darauf ab, eines der ersten Teen-Idole der Musikszene aus mir zu machen, die PR-Ideen reichten von „Liebesgeschenke für Jermaine“ bis zu „Jermaines Liebeswünsche“. Michael kicherte dauernd über diese ganze Geschichte, weil er meinte, es höre sich wie bei den sieben Zwergen an. Wir traten nun auch unter einem neuen Logo auf: „J5“, in lippenstiftroter Farbe auf einem gelben Herzen, wobei die unteren Schwünge des J und der 5 in kleinen Herzen ausliefen. Es dominierte unsere Bühnendekoration und die Kulissen und schmückte außerdem die Felle von Johnnys Schlagzeug.
Die Motown-Maschinerie war wie ein Teil von Willy Wonkas Schokoladenfabrik (eine Geschichte, deren erste Verfilmung wir uns zwei Jahre später im Kino ansahen): Fünf Jungs aus Gary, die in eine Zaubermaschine gesteckt wurden und auf der anderen Seite poliert, strahlend und frisch verpackt wieder herauskamen. Dabei hatten wir keinerlei Mitbestimmungsrecht, wir konnten uns nichts aussuchen – so war das eben einfach. Unser Sound war „Bubblegum-Soul“ – nicht zu viel Soul, nicht zu viel Pop, konstruiert als schlichte, aber eingängige Unterhaltung für die ganze Familie. Davon abgesehen mussten wir gar nicht anders vermarktet werden als so, wie wir waren – unschuldig, ordentlich und gut erzogen. Und doch fanden wir uns im Wunderland Hollywood wieder, im Wunderland der Musik, wo wir von allem das Beste bekamen.
Aber auch in dieser ganz neuen, fremden Welt waren wir immer noch Brüder. Und der Zusammenhalt sorgte dafür, dass wir während dieser Metamorphose nicht die Orientierung verloren. Wenn wir einander ansahen, in den Motels, den neuen Häusern, den Aufnahmestudios und auf der Bühne, dann fühlten wir uns „wie zu Hause“. In unseren Köpfen hatten wir unser Kinderzimmer in Gary nie verlassen.
Innerhalb unseres Familiengefüges wusste Michael immer, mit welchen Anliegen er sich an welchen Bruder wenden konnte. Jackie war die starke Schulter und wusste über das Leben Bescheid. Tito besaß das technische Know-how, um Michaels endlose Warum-Fragen zu beantworten. Marlon war auf spielerische Art sein Konkurrent und Mitverschworener bei allen Streichen, der immer wieder an Michaels Arm zog, damit der ihm noch einmal einen Tanzschritt zeigte. Und ich war derjenige unter den Brüdern, der mit ihm über Songs, Kreativität, Gefühle und Mädchen sprach. Es dauerte einige Jahre, bis ich verstand, wie groß mein positiver Einfluss auf Michael war. Er hatte mir natürlich immer gesagt, dass er mich liebte und bewunderte, aber besonders treffend formulierte er es in den Siebzigern gegenüber David Ritz, einem Autor und Freund der Familie: „In meiner Jugend war es vor allem Jermaine, auf den ich mich konzentrierte. Er brachte mich zur Schule. Ich bekam seine abgelegten Sachen. Es war seine Stimme, die ich als Erstes nachahmte. Ich fand es toll, wie er klang. Er zeigte mir den Weg.“
So etwas hört jeder ältere Bruder natürlich gern.
Unsere Managerin in allen Alltagsdingen war Suzanne de Passe. Sie hatte alles im Blick, was wir taten, und spielte eine entscheidende Rolle dabei, das zu erhalten, was Joseph aufgebaut hatte, und es gleichzeitig der Motown-Vision anzupassen. Gemeinsam mit Tony Jones und Shelly Berger arbeitete sie rund um die Uhr dafür, dass die Operation Jackson 5 nach Mr. Gordys Vorgaben wie ein Uhrwerk lief. Suzanne war eine große, schöne New Yorkerin mit blondem Haar und wundervoller Haut. Gleich nach Diana Ross war sie die schönste Frau, die wir je gesehen hatten.
Schönheit ist ein kraftvolles Werkzeug, das sich gut dazu einsetzen lässt, um andere zu überreden, wie wir bald feststellten. Wenn Suzanne etwas von uns wollte, dann brachte sie uns immer irgendwie dazu, dass wir es auch taten. Sie nannte Michael „Caspar Milquetoast“ (nach einer Zeichentrickfigur, die als sehr ängstlich bekannt war) und mich „Maine“, und diese Spitznamen bürgerten sich während der Zeit der Jackson 5 für uns beide ein. Suzanne besaß eine Engelsgeduld und hatte wahrscheinlich oft den Eindruck, eher unsere Babysitterin als unsere Managerin zu sein. Auf der Bühne waren wir
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