Young Sherlock Holmes 1
nachdenken.«
»Das werde ich, Onkel.«
»MrCrowe wird morgen Nachmittag wiederkommen. Vielleicht kannst du ja für mich ein bisschen was übersetzen.«
Sherlock dachte an Mattys Prognose, dass sie nicht vor dem Abendessen zurück sein würden, und zuckte innerlich zusammen. Er konnte jedoch seinem Onkel unmöglich erzählen, dass er nach Guildford fuhr. Er wollte nicht riskieren, sich ein Verbot einzufangen. Als er aufblickte, sah er, dass MrsEglantine ihn mit ihren kleinen funkelnden Knopfaugen musterte.
»Ich werde da sein«, versprach er und wusste schon, als er die Worte aussprach, dass er es wohl kaum rechtzeitig zurück schaffen würde. Doch über eine Erklärung konnte er sich später den Kopf zerbrechen, wenn es soweit war.
Als er das Abendessen beendet hatte, entschuldigte er sich und begab sich in die Bibliothek. Sein Onkel, der noch im Esszimmer speiste, hatte vor einem oder zwei Tagen gesagt, dass Sherlock die Bibliothek nutzen dürfe, wenn er wolle. Aber dennoch kam er sich wie ein Eindringling vor, als er in die gedämpfte Atmosphäre des Raumes eintauchte, in dem es in jeder Ecke und jedem Winkel nach Leder und altem Papier roch und dessen Vorhänge zum Schutz vor dem Sonnenlicht zugezogen waren. In der Hoffnung, etwas über die örtliche Geographie zu finden, durchstöberte er die Regale. Er stieß auf verschiedene mehrbändige Enzyklopädien, in Lederbänden zusammengebundene Jahrgänge von Kirchenzeitschriften, jede Menge kirchengeschichtliche Werke und auf unzählige Sammelbände von Predigten, die mutmaßlich von angesehenen Geistlichen vergangener Tage stammten. Schließlich fand er ein paar Regale mit Titeln über lokale Geschichte und Geographie.
Er entschied sich für ein Buch über die Wasserwege in Surrey und Hampshire. Dann verließ er die Bibliothek und kehrte auf sein Zimmer unter dem Dach zurück.
Ungefähr eine halbe Stunde lang saß er an der Nachricht, in der er mitteilen wollte, dass er früh ausgegangen sei und erst später am Tage wieder zurückkehren würde. Die ersten paar Versuche gerieten zu detailliert und enthielten diverse unwahre Angaben darüber, was er wo und wann zu tun beabsichtigte. Aber nach einer Weile erkannte er, dass seine Botschaft umso überzeugender ausfiel, je einfacher sie war und je weniger nachprüfbare Fakten sie enthielt. Als er die Nachricht verfasst hatte, legte er sich auf sein Bett und las das Buch, das er aus der Bibliothek mitgenommen hatte. Sherlock blätterte durch die Buchseiten und hielt Ausschau nach Stellen, in denen der Fluss
Wey
erwähnt wurde oder – besser noch – auf Landkarten verzeichnet war, die er sich einprägen konnte. Doch schon bald fand er mehr, als er erwartet hatte. Der
Wey
zum Beispiel war nicht nur einfach ein Fluss, sondern offensichtlich etwas, das man »Wasserstraße« nannte. Flüsse neigten dazu, sich in willkürlichen Windungen durch die Landschaft zu schlängeln. Die für den Handelsverkehr zwischen den Städten gebauten Kanäle hingegen verliefen, wo es irgend möglich war, in gerader Richtung. Mit stufenartigen Konstruktionen, den »Schleusen«, konnte das Niveau des Wasserstandes je nach Form der Landschaft angehoben oder abgesenkt werden. Eine Wasserstraße, so stellte er fest, war ein Fluss, den man durch Wehre und Schleusen schiffbarer gemacht hatte, wodurch sich der natürliche Fluss in etwas verwandelte, das mehr Ähnlichkeit mit einem Kanal hatte.
Sherlock brummte der Schädel vor lauter Details, mit denen auf die Meisterleistungen der Ingenieurskunst und die vielen Jahre Arbeit eingegangen wurde, die erforderlich gewesen waren, um den Fluss dem menschlichen Willen zu unterwerfen.
Da er wusste, dass ein langer Tag vor ihm lag, versuchte er schließlich zu schlafen, und obwohl ihm der Kopf vor lauter Ideen, Bildern und Fakten nur so schwirrte, glitt er, ehe er es sich versah, in einen traumlosen Schlaf. Als er wach wurde, war es immer noch dunkel, doch eine frische Brise wehte durchs Fenster, und die Vögel in den Büschen und Bäumen hatten schon mit ihrem Frühkonzert begonnen. Es war vier Uhr morgens.
Er hatte sich angezogen schlafen gelegt, und so glitt er schon wenige Augenblicke später durch das dunkle Haus. Er schlüpfte hinaus auf den Korridor und schlich die enge Holztreppe vom Dachgeschoss hinunter. Sorgfältig achtete er darauf, dass er auf den äußeren Rand der Stufen trat, um ein Knarren zu vermeiden. Anschließend pirschte er sich vorsichtig auf dem Korridor im ersten Stock voran,
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