Young Sherlock Holmes 1
Applaus heischend zu ihm hinüberstolziert. Er war mindestens fünfzehn Zentimeter größer als Sherlock und hatte ein viel breiteres Kreuz.
Seine Hände sahen aus wie zwei riesige, mit Walnüssen gefüllte Lederbeutel. »An die Linie«, grunzte er.
»Was?«
Der Kämpfer zeigte auf zwei parallele Linien, die man ins Gras gestampft hatte und etwa einen Meter voneinander entfernt waren. »Du stehst hinter der einen, ich steh hinter der anderen. Wenn der Gong ertönt, kämpfen wir. So funktioniert das.«
»Ich will nicht kämpfen«, protestierte Sherlock.
»Is’ deine Entscheidung, Junge«, knurrte der Kämpfer. »Hab trotzdem dafür zu sorgen, dass das Ganze fünf Minuten dauert, und deine Birne wird wie Hackfleisch aussehen, wenn de dich nicht verteidigst.« Kritisch beäugte er Sherlock. »Wird vermutlich sowieso so aussehen, selbst wenn de das tust«, fügte er hinzu. Er schob Sherlock auf die nächste Linie im Gras zu. »Nimm die Hände hoch, schütz dein Gesicht. Und bleib aufrecht stehen. Wenn de fällst, tret ich dich, bis du wieder stehst.«
»Ich dachte, der Schiedsrichter hat gesagt, dass man den Gegner nicht schlagen darf, wenn er am Boden liegt.«
Der Kämpfer zuckte die Achseln. »Aber von Treten hat er nix gesagt.«
Ungläubig ging Sherlock zu seiner Linie. Mit seinen gestiefelten Füßen stand der Kämpfer an der anderen Linie. Sherlock sah sich um und hielt nach jemandem Ausschau, der ihm helfen könnte. Nach irgendjemandem. Aber er blickte nur in rote, verschwitzte und vor Aggressivität verzerrte Gesichter.
Ein Gong ertönte.
Sherlock trat erst einmal zurück, doch im gleichen Augenblick sauste auch schon die Faust seines Gegners knapp an seiner Nase vorbei.
Er riss die Hände hoch, um sich zu verteidigen, und wich noch weiter zurück, als sein Gegner auf ihn zukam. Die Menge brüllte. Er hatte Bilder von Boxern in Büchern gesehen. Außerdem hatte er sich ein paar Kämpfe in der Deepdene-Schule angeschaut und sogar selbst ein wenig geboxt. Also nahm er die Stellung ein, an die er sich erinnerte, und hielt die zu Fäusten geballten Hände vor seinen Körper. Aber ganz offensichtlich hatte sein Gegner nicht die gleichen Bücher gelesen. Denn der kam einfach auf Sherlock zugetrottet und holte mit beiden Armen seitlich aus, um sie dann in Schulterhöhe mit geballten Fäusten auf Sherlock niedersausen zu lassen. Sherlock kassierte einen Treffer an der linken Schulter – derjenigen, die jüngst erst von Clem malträtiert worden war –, und augenblicklich schoss ihm der Schmerz wie flüssiges Metall den Arm hinab. Seine Hand fiel nutzlos zur Seite herunter. Wie hatte das alles nur passieren können? Noch vor einer Minute war er ein anonymer Zuschauer in der Menge gewesen, und nun stand er im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit! Es war fast so, als hätte etwas, nein
jemand
, die Menge so gelenkt, dass er in diese Situation geraten war.
Sein Gegner machte wieder ein paar Schritte auf ihn zu, offenbar bereit, ihm einen Aufwärtshaken ins Gesicht zu verpassen. Also trat Sherlock zurück und ließ seine rechte Faust vorschnellen. Wie durch ein Wunder traf er den Mann genau auf die Nase. Sherlock spürte, wie etwas unter seinen Fingern knackte und dann lief seinem Gegner auch schon Blut an Kinn und Brust hinab. Der Mann zuckte zurück, atmete explosionsartig durch die Nase aus und besprühte Sherlocks Hemd dabei mit einem Schwall von Blut. Fast gleichzeitig führte er eine gerade Rechte gegen Sherlocks Brust. Der Treffer ließ Sherlock nach hinten taumeln. Ein heftiger Schmerz durchfuhr seine Rippen. Einen Moment lang dachte er, sein Herz wäre stehengeblieben. Er versuchte Luft zu holen, aber wie es schien, hatte seine Lunge ihre Arbeit eingestellt. Zusammengekrümmt stand er da und versuchte verzweifelt, etwas Luft einzusaugen.
Eine Hand packte ihn hinten am Nacken und schleuderte ihn über die Grasfläche. Der Aufprall auf den Boden quetschte ihm das letzte bisschen Atemluft aus dem Körper, woraufhin jedoch sich sein Brustkorb reflexartig weitete und schlagartig wieder Luft in die Lunge strömte. Er rollte sich zur Seite – einen Wimpernschlag bevor sich ein Fuß an der Stelle in den Boden rammte, an der eben noch sein Kopf gewesen war. Taumelnd rappelte sich Sherlock wieder hoch.
Das Gesicht seines Gegners war eine einzige blutverschmierte Maske, die nur von zwei schmalen, wütend blitzenden Augen und einer Reihe gefletschter Zähne unterbrochen wurde. Der Mann machte ein paar Schritte auf
Weitere Kostenlose Bücher