Young Sherlock Holmes 2
machen ist das erste Mal verzeihlich, danach aber inakzeptabel und nervtötend.«
Eines der Dienstmädchen tauchte mit einem kleinen Gong aus dem Speisezimmer auf und schlug, ohne einen Blick auf Mycroft oder Sherlock zu werfen, einmal laut darauf, bevor es sich wieder zurückzog.
»Wollen wir?«, fragte Mycroft.
Kurz darauf hatten sich Sherrinford und Anna Holmes zu ihnen gesellt. Mycroft brachte einen Großteil des Abendessens damit zu, über die Genauigkeit der lateinischen Übersetzung der griechischen Übersetzung der im Original auf Hebräisch und Aramäisch verfassten Bücher des Alten Testamentes zu debattieren. Tante Anna redete dabei die meiste Zeit auf Sherrinford und Mycroft ein, unbeeindruckt von der Tatsache, dass die beiden sich bereits miteinander unterhielten. Aus einem gewissen Taktgefühl heraus wandte sich Mycroft allerdings immer wieder kurz Tante Anna zu, um auf eine von den Fragen zu antworten, die im Strom ihres fortwährenden Monologes mit dahinflossen.
Sherlock wiederum widmete sich fast ausschließlich dem Essen und mied dabei den bohrenden Blick von Mrs Eglantine, die ihre übliche Position am Fenster eingenommen hatte und ihn anstarrte.
Nach dem Abendessen begleiteten Onkel Sherrinford und Tante Anna Mycroft zur Eingangstreppe hinaus, um sich von ihm zu verabschieden.
»Dein Griechisch ist fließend, und besonders die lateinische Syntax beherrschst du außerordentlich gut«, sagte Sherrinford und sprach damit offensichtlich das höchste Lob aus, das er sich vorstellen konnte. »Ich habe unseren Diskurs sehr genossen. Mit deinen Kenntnissen des Alten Testamentes hapert es etwas, aber du konntest auf Basis meiner Ausführungen ein paar verblüffende Schlussfolgerungen ziehen. Ich werde noch lange und intensiv darüber nachdenken müssen, was du über die Frühzeit der Kirche gesagt hast. Bitte komm uns doch bald wieder besuchen.«
Tante Anna überraschte alle, als sie einen Schritt vortrat, Mycroft eine Hand auf den Arm legte und sagte: »Du bist hier stets willkommen. Und ich … bedaure … die Animosität, die unsere Familie entzweit hat. Ich wünschte, es wäre anders.«
»Deine Freundlichkeit ist eine Kraft, die uns hilft, alle Kontroversen zu überwinden«, erwiderte Mycroft sanft. »Und die Barmherzigkeit, die ihr bewiesen habt, indem ihr den jungen Sherlock aufgenommen habt, soll uns allen als Beispiel der Demut dienen. Erachte den Bruch zwischen uns nicht nur als repariert, sondern als beseitigt.« Er warf einen Blick in den dunklen Bereich der Eingangshalle, wo Sherlock eine schwarzgekleidete Gestalt auszumachen glaubte, die sie beobachtete. »Aber solange eine bestimmte Person immer noch Einfluss in diesem Haus hat, vermute ich, dass ich mich niemals so akzeptiert fühlen werde, wie du es vielleicht möchtest.«
Anna wandte den Blick ab, und Sherlock meinte, in ihren Augen Tränen schimmern zu sehen. »Wir sind nun mal da, wo wir sind«, verkündete sie kryptisch. »Und wir tun, was wir tun.«
Mycroft machte einen Schritt zurück. »Ich verabschiede mich und danke euch von Herzen. Dürfte ich eure Gutmütigkeit noch einmal in Anspruch nehmen und darum bitten, dass Sherlock mich zum Bahnhof begleitet? Die Kutsche wird ihn danach wieder zurückbringen.«
»Natürlich«, sagte Sherrinford und unterstrich dies mit einer leichthin ausgeführten Handbewegung.
Als die Kutsche das Anwesen verließ und auf die Straße abbog, blickte Sherlock sich noch einmal um. Nun standen drei Personen auf den Stufen: seine Tante, sein Onkel und Mrs Eglantine. Und – ob es nun Zufall war oder nicht – Mrs Eglantine stand auf der obersten Stufe und thronte über ihren Arbeitgebern.
»Du willst wahrscheinlich noch mal darüber reden, was heute vorgefallen ist«, vermutete Sherlock, als die Kutsche über Schlaglöcher und Steine holperte.
»Natürlich. Wir machen an Mr Crowes Cottage halt. Es gibt noch viel zu besprechen.«
Die Kutsche ratterte durch die Landschaft.
Wieder machte sich Sherlocks schmerzende Kopfhaut bemerkbar. Er fasste sich in die Haare und zupfte verstohlen an einer Locke, nur um sicherzugehen, dass sie noch fest saß. Der jähe Schmerz trieb ihm die Tränen in die Augen, aber das Haar blieb Gott sei Dank an seinem Platz.
Nach ungefähr zehn Minuten wurde die Kutsche langsamer, und Sherlock konnte hinter ein paar Büschen ein Reetdach erkennen.
»Komm«, forderte ihn Mycroft auf, als die Kutsche vor einer Pforte hielt, die in eine Feldsteinmauer eingelassen
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