Young Sherlock Holmes 3
aber sicher tötete.«
»Was ist mit ihm passiert?«, fragte Mycroft.
»Sherlock hat es mitgenommen.« Crowe zuckte die Achseln. »Besser so, als wenn die Polizei es verbummelt hätte.«
Mycroft nickte. Er dachte einen Moment lang nach. »Ein Spray, das einen Menschen vorübergehend betäuben kann. Wie überaus interessant. Dafür kann ich mir so einige Anwendungsmöglichkeiten vorstellen.«
»Also gut«, begann Sherlock und hielt kurz inne, um seine Gedanken zu ordnen. »Wir wissen, wie es passiert sein könnte. Und wir haben eine Theorie, die mit den Fakten übereinstimmt. Die Frage ist nur: Warum? Warum wurde diese Tat begangen?«
Mycroft zuckte die Schultern. »Was das anbelangt, so bin ich gerade in einige schwierige Verhandlungen mit ausländischen Regierungen involviert. Vielleicht möchte mich eine davon zeitweilig aus dem Weg haben, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Außerdem hat die Arbeit, mit der ich bisher befasst war, auch so einige Male zu Verträgen geführt, die am Ende nur mit einem einzigen Land geschlossen wurden, während andere leer ausgingen. Vielleicht haben mir einige dieser Staaten meine Aktionen übelgenommen und beschlossen, sich zu rächen.« Plötzlich schien ihm ein Gedanke zu kommen. Ein schwerwiegender Gedanke, seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen. »Außer …«
»Außer was?«, hakte Crowe nach.
Statt zu antworten, langte Mycroft in sein Jackett. »Ich habe immer noch die Visitenkarte, die der Tote Brinnell gegeben hat. Da stand irgendetwas drauf geschrieben. Etwas, das mein Interesse so geweckt hat, dass ich den Mann sehen wollte.«
Er zog ein Kärtchen aus seiner Innentasche. »John Robertshaw«, las er. »Und eine Adresse in Chelsea. Glassblowers Road. Vermutlich falsch und nur erfunden, um die Karte glaubwürdig erscheinen zu lassen.«
»Aber dennoch wert, überprüft zu werden«, betonte Crowe.
»Allerdings. Ich würde nicht wollen, dass uns ein Hinweis durch die Lappen geht, nur weil wir ihn von vornherein ausgeschlossen haben.« Mycroft drehte die Karte um. »Mein Name in Handschrift, damit Brinnell wissen würde, wen er sprechen möchte. Und drei Worte.«
Er blickte auf und sah Sherlock in die Augen.
»Die Paradol-Kammer«, sagte er mit grimmiger Stimme.
Schockiert rasten Sherlocks Gedanken zu jenen Tagen zurück, als er sich in der Gewalt von Baron Maupertuis befunden hatte. Der Baron hatte die Paradol-Kammer erwähnt. Er hatte zwar nicht genau gesagt, um was es sich dabei handelte, aber darüber gesprochen, als ob er für sie arbeiten würde oder ihr unterstellt wäre. Als wäre es etwas sehr Wichtiges und Geheimes.
»Jetzt fällt es mir wieder ein«, fuhr Mycroft fort. »Ich sah die Worte, und dann erinnerte ich mich, dass du mir damals erzähltest, dass Baron Maupertuis den gleichen Ausdruck benutzte. Ich wies Brinnell an, den Mann hereinzubringen, damit ich ihn befragen konnte. Aber diese Karte war nur ein Köder, um mich in die Falle zu locken.«
»Und Sie haben angebissen«, stellte Crowe mit sanfter Stimme fest.
»Zu meiner eigenen Verteidigung muss ich sagen, dass ich mich auf vertrautem Terrain befand und nicht mit solch einer Attacke rechnen konnte«, protestierte Mycroft.
»Und dennoch ist sie erfolgt«, erwiderte Crowe und machte mit der Hand eine beschwichtigende Geste. »Wie auch immer. Wir müssen weitermachen. Ich werde Ihnen einen Anwalt besorgen. Sherlock, hast du noch den Namen und die Adresse des Rechtsanwalts, den der Diener dir im Diogenes Club gegeben hat?«
Sherlock nickte und reichte ihm den Zettel, den er in seiner Hemdtasche aufbewahrt hatte.
»Und du Sherlock«, fuhr Crowe fort, »wirst währenddessen diese Visitenkarte genauer unter die Lupe nehmen.« Crowe reichte ihm die Karte, die Mycroft aus seinem Jackett geholt hatte. Sherlock drehte sie um und las mit einem Schaudern noch einmal die geheimnisvollen Worte:
Die Paradol-Kammer.
»Und wie soll ich das genau machen?«, fragte er dann.
»Rieche am Material«, instruierte Crowe ihn.
Sherlock führte die Karte an die Nase. Da war ein schwacher, aber dennoch wahrnehmbarer scharfer Geruch. »Was ist das?«, fragte er.
»Druckerfarbe«, erwiderte Crowe. »Die Karte ist erst kürzlich gedruckt worden. Vermutlich eine Einzelanfertigung, nur um in den Club zu kommen. Schließlich würde kein seriöser Club jemanden ohne Karte hineinlassen. In Anbetracht seiner Lebensumstände dürfte er keine eigenen Visitenkarten besessen haben, und sein geheimnisvoller Auftraggeber
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