Young Sherlock Holmes 3
irgendwelche Hinweise darauf, dass die Klinge absichtlich oder zufällig am Hemdstoff abgewischt worden ist? Wischspuren und hervorquellendes Blut hinterlassen sehr unterschiedliche Spuren.«
»Irrelevant«, blaffte Coleman. »Blut ist Blut, und es gab nur ein Messer im Raum. Was Sie, Gentlemen, mir jetzt nur noch verraten müssen, ist, was Sie bei dem Angeklagten zu suchen hatten.«
»Er ist mein Bruder«, sagte Sherlock leise. »Und Mister Crowe ist ein Freund der Familie. Wir waren mit Mycroft zum Lunch verabredet.«
»Woraus ich schließe, dass der Mord nicht vorsätzlich begangen wurde«, stellte Coleman fest und schrieb sich eine Notiz in seinen Block. »Man bringt keinen um, wenn man weiß, dass jeden Moment jemand zum Lunch auftauchen kann. Es war eine Tat im Affekt.«
»Und das Motiv?«, fragte Crowe.
Der Sergeant sah von seinem Notizblock auf.
»Ein Geschäft, das schiefgelaufen ist, ein Streit um eine Frau. Es könnte eine ganze Reihe von Gründen in Betracht kommen. Am Ende ist das nur ein Detail. Das Entscheidende ist, dass wir einen Toten und einen Mörder haben. Das ist alles, wofür sich der Richter interessieren wird.« Er hielt inne. »Wenn ich dann jetzt bitte Ihre vollständigen Namen und Adressen haben könnte, damit ich einen entsprechenden Vermerk für die Akte machen kann.«
Crowe gab ihm die gewünschten Informationen, und Coleman nahm sie pflichtbewusst auf. An der Art, wie er die Hände auf dem Tisch platziert hatte, bereit, sich hochzustemmen und vom Stuhl zu erheben, wurde Sherlock klar, dass das Verhör bereits zu Ende war. Er hatte das Gefühl, als säßen sie in einem Zug, der auf einem vorgezeichneten Schienenstrang dahinraste, ohne dass es möglich war, die Fahrtrichtung zu ändern.
»Können wir Mycroft sehen?«, platzte es aus ihm hervor. »Nur für ein paar Minuten?«
Coleman wirkte unschlüssig.
»Was könnte es schon schaden?«, fragte Crowe mit sanfter Stimme. »Schließlich sind sie Brüder. Und den jungen Sherlock hier zu sehen, wird Ihren Gefangenen vielleicht zugänglicher machen. Einem Geständnis aufgeschlossener.«
Schockiert blickte Sherlock Crowe von der Seite an. Doch der große Amerikaner blinzelte ihm mit dem von Coleman abgewandten Auge zu.
Der Polizist dachte einen Augenblick nach, offensichtlich immer noch widerstrebend. »Also schön«, sagte er schließlich missmutig. »Ich denke nicht, dass es schaden wird.«
Er ging zur Tür und öffnete sie. Der Constable, der sie vom Diogenes Club her eskortiert hatte, stand draußen Wache.
»Bringen Sie die beiden zu dem Angeklagten nach unten«, befahl Coleman. »Geben Sie ihnen zehn Minuten, um mit ihm zu reden. Danach geleiten Sie sie zum Ausgang.« Er wandte sich wieder Crowe und Sherlock zu. »Ich weiß Ihre Zeit zu schätzen, Gentlemen. Eine unglückselige Angelegenheit natürlich. Aber bitte bedenken Sie, würde niemand Verbrechen begehen, wären unsere Dienste auch nicht vonnöten, und ich könnte in die Fußstapfen meines Vaters treten und eines Tages seinen Kurzwarenladen übernehmen.«
Mit diesen Worten eilte Coleman davon, und der Constable bedeutete ihnen, ihm zu folgen. Er führte sie durch das labyrinthische Innere des Gebäudes zurück und weiter über mehrere Treppenfluchten hinab, bis sie ein Kellergeschoss mit Wänden aus rohem Ziegelstein erreichten, auf dessen gefliestem Boden ihnen schwarz glänzende Wasserpfützen entgegenfunkelten. Eine Reihe geschlossener Stahltüren säumte die volle Länge des Korridors. Nachdem der Constable sie etwa ein Drittel des Korridors hinabgeführt hatte, blieb er vor einer Tür stehen, nahm einen Schlüsselbund von seinem Gürtel und schloss sie mit einem der Schlüssel auf. Mit einer Geste forderte er sie auf einzutreten. »Zehn Minuten und keine Sekunde länger. Falls es Schwierigkeiten gibt, warte ich gleich hier draußen.«
Crowe forderte Sherlock mit einer Handbewegung auf, als Erster hineinzugehen, und folgte ihm dann.
Mycroft saß aufrecht auf einer Bank, die sich an der einen Seite der Zelle erstreckte. Die Hände ruhten fest zusammengefaltet auf dem Schoß, die Augen waren geschlossen. Doch als Sherlock eintrat, öffnete er sie und blickte auf. Durch einen vergitterten Spalt hoch an der Wand ihnen gegenüber, der wahrscheinlich auf die Straße hinausging, drang Licht in den Raum.
Die Zelle war so winzig, dass sie durch die wenigen Personen beinahe schon ausgefüllt war. Da es für Sherlock und Crowe nirgends eine Gelegenheit zum Sitzen gab,
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