Young Sherlock Holmes 4
angeblich so intelligenten Mann«, sinnierte er, »scheint diesem Bryce Scobell aber eine wichtige Kleinigkeit entgangen zu sein. Ich meine, er ist auf der Flucht vor Ihnen, ja vor der ganzen US -Regierung, und er macht sich freiwillig immer leichter erkennbar. Wär’ ich er, würde ich mir das Haar blond färben und untertauchen, statt mir mehr und mehr Namen eintätowieren zu lassen.«
»Es ist ein Zwang«, erklärte Crowe. »Der Mann kann einfach nicht anders. Und es ist erstaunlich, was ein Paar Handschuhe und etwas Theater-Make-up bewirken können.«
»Wie sieht dann also unser Plan aus?«, meldete sich Matty zu Wort. »Was sollen wir machen?«
»Wir machen gar nichts«, erwiderte Crowe. »Ginny und ich werden das Land verlassen. Uns woandershin aufmachen. Unsere Namen ändern. Unser Äußeres so stark verändern wie möglich. Ihr drei geht zurück nach Farnham und versucht, uns zu vergessen.«
Die Worte trafen Sherlock wie ein Schlag. Sein Blick glitt zu Virginia. »Ich glaube nicht, dass wir das können«, sagte er mit ruhiger Stimme.
Rufus Stone runzelte die Stirn. »Das verstehe ich nicht. Warum haben Sie uns denn mit Hinweisen hierher nach Edinburgh geführt, wenn Sie unsere Hilfe überhaupt nicht wollen?«
Crowe schloss einen Moment die Augen. »Weil ich auf anständige Weise ›Auf Wiedersehen‹ sagen wollte«, sagte er. »Und weil ich von Angesicht zu Angesicht erklären wollte, warum ich weglaufe. Ich wollte, dass ihr das ganze Ausmaß dessen begreift, womit ich es zu tun habe. Scobell wird es unermüdlich versuchen, wieder und wieder und wieder. Und selbst wenn ich den Spieß umdrehen wollte, um ihn zu erledigen, wäre er doch zu clever. Er wird seine Spuren verwischen und sich einfach verstecken, bis ich aufhöre, nach ihm zu suchen. Oder schlimmer noch: Er wird mich in eine Falle locken.«
Schweigen senkte sich wieder über den Raum, während jeder von ihnen versuchte, Crowes Ausführungen zu verarbeiten.
»Da gibt’s nur zwei Probleme«, ergriff Sherlock schließlich das Wort.
Crowe hob eine Augenbraue. »Ach ja, und welche?«
»Erstens«, fuhr Sherlock unbeeindruckt von Crowes abweisender Haltung fort, »wird dieser Mann, Bryce Scobell, nicht locker lassen und Sie immer weiter verfolgen. Wenn er wirklich so clever und entschlossen ist, wird er Sie finden, wo immer Sie auch sind, ganz gleich, wie lange er dazu braucht.«
»Da hast du recht«, sagte Rufus Stone und nickte.
»Und was ist das andere Problem?«, fragte Matty.
»Das besteht darin, dass Sie die Sache so betrachten wie eine ganz normale Jagd.« Sherlock schwieg einen Moment, um seine Gedanken so gut wie möglich zu sortieren. »Von dem, was Sie mir beigebracht haben, weiß ich, dass Sie Menschen wie Tiere betrachten. Auf der Jagd nach ihnen versuchen Sie, auf Basis ihrer Gewohnheiten ihre Bewegungen vorherzusagen, und Sie achten auf die Spuren ihrer Anwesenheit: die Spuren, die sie unweigerlich hinterlassen müssen, so wie auch Tiere Spuren hinterlassen.«
»Ich bin immer der Überzeugung gewesen, dass es sich bei uns Menschen lediglich um eine andere Tierart handelt«, räumte Crowe ein. »Und viele Male habe ich diese Tatsache zu meinem Vorteil genutzt. Worauf willst du hinaus?«
»Ich will darauf hinaus, dass dieser Bryce Scobell kein Tier ist. Er hat den Spieß umgedreht. Er betrachtet
Sie
als das Tier. Er jagt
Sie
, und das ist es, was Ihnen Angst macht. Ihr üblicher Weg, eine Situation zu handhaben, funktioniert nicht mehr. Das Blatt hat sich gewendet.«
»Willst du sagen, dass er cleverer ist als ich?«, fragte Crowe mit herausfordernder Stimme, und seine Augen blitzten unter den buschigen Brauen.
»Ja«, erwiderte Sherlock nur. »Wenn sich das Spiel also gedreht hat, dann lassen Sie uns doch einfach das Spiel ändern. Wenn Scobell ein besserer Jäger ist als Sie, dann lassen Sie uns daraus keine Jagd machen. Wenn er ein besserer Spieler ist als Sie, lassen wir uns eben nicht auf ein Spiel ein. Lassen Sie nicht zu, dass er den Kampf bestimmt. Verändern Sie die Regeln.«
»Leichter gesagt, als getan, junger Mann«, knurrte Crowe. Aber der Ausdruck auf seinem Gesicht ließ darauf schließen, dass es Sherlock gelungen war, ihn zu verblüffen.
»Wenn er auf der Suche nach Ihnen ist«, fuhr Sherlock fort, »verstecken Sie sich einfach nicht. Machen Sie das, was er nicht erwartet. Bewegen Sie sich in der Öffentlichkeit. Er wird sich fragen, was Sie machen, vermuten, dass es eine Falle ist, und sich
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