Ysobel – Das Herz aus Diamant
Nacktheit zu kümmern. Er rechnete mit seinem lästigen Pagen oder einem seiner Freunde, die ihm höchst selten die Ruhe ließen, die er sich wünschte.
Jeanne quiekte und schlug schamhaft die Hände vors Gesicht, als er wie Adam persönlich vor ihr stand. Allerdings nicht, ohne neugierig und bewundernd durch die Finger zu spähen. »Verzeiht, aber die Herrin! Man erwartet sie pünktlich zum Mahl ...«
»Heilige Anna, ist es schon so spät?« Ysobel bemerkte erst jetzt, dass die Schatten länger geworden waren und der Tag sich dem Abend zuneigte. Oliviane würde denken, sie hätte alle Sünden des Landes gebeichtet! »Komm herein, Jeanne! Ich brauche ohnehin Hilfe mit diesem Kleid!«
Sie griff sich hastig die Reste des zarten Hemdes und suchte die Strümpfe, die Jeanne unter den Decken des Alkovens fand. Sie war eine perfekte Zofe. Kein Wort fiel, während sich Jos in einen Hausmantel hüllte und Ysobel ihre Erscheinung wieder in Ordnung brachte. Nur in dem Blick, den sie mit ihrer Herrin tauschte, lag eine Mischung aus Gratulation und Lachen. Am Ende verweigerte sie indes stolz die Münze, die Jos ihr zustecken wollte.
»Ihr habt mir das Leben gerettet, Seigneur!«, erklärte sie. »Es gehört Euch und meiner Dame, Ihr müsst mich nicht dafür belohnen!«
»Wir haben dir mehr zu danken, als du ahnst«, erwiderte Jos im selben Ton.
»Dann sind wir quitt!«, erwiderte Jeanne auf ihre fröhliche Art.
Sie zog ihre Herrin energisch mit sich fort und ließ beiden kaum Zeit für einen letzten, innigen Kuss. Jos blieb allein zurück – und geriet ins Grübeln. Wie sollte er seiner Gnaden Jean de Montfort beibringen, dass er die Erbin von Locronan zu seiner Gattin zu machen wünschte? Er forderte damit ja nicht nur ihre Hand, sondern auch ihr Lehen. Würde der Herzog ihm dies nicht als Gipfel der Anmaßung auslegen?
Nun, wie auch immer. Ysobel war jedes Risiko wert! Auch den Zorn seines Fürsten!
25. Kapitel
Im Schein der unzähligen Kerzen, Lampen und Fackeln glich der große Saal einem Meer aus Licht und Glanz. Seidenbestickte Banner und prächtige Standarten, Tapisserien und Girlanden aus dem ersten frischen Grün des Frühlings schmückten Wände, Säulen und Galerien. Die prächtigen Roben der Damen, die bestickten Wämser und Mäntel der Herren, die Federn, Schleier und Juwelen leuchteten wie bunte Blumen rund um den Baldachin aus schwerem rotem Samt, unter dem Jean de Montfort mit seiner Herzogin stand.
Im Gegensatz zu seinem festlich herausgeputzten Hof trug er schlichten, dunkelblauen Samt ohne jede Borte oder Stickerei. Das gefältelte Wams und der schenkelkurze Mantel waren indes der perfekte Untergrund für das glänzende, große Kreuz, das mitten auf seiner breiten Brust prangte. Die enormen Juwelen warfen rote, grüne, blaue und weiße Blitze im Schein der Kerzen, und die archaischen Verzierungen des Goldes glitzerten in neu hergestelltem Glanze. Die Schäden, die das Kreuz von Ys erlitten hatte, gehörten ebenso der Vergangenheit an, wie der Krieg, der das Land verwüstet hatte.
Ysobel stand im Kreise der unverheirateten Edeldamen hinter der Herzogin. Ihre Geduld war nach diesem langen, festlichen Tag nahezu am Ende. Möglicherweise hätte sie den Prunk genossen, wäre es ihr vergönnt gewesen, ihn wie ihre Gefährtinnen aus Sainte Anne an der Seite des Mannes zu erleben, den sie liebte. Aber mehr als ein kurzer Blick auf Jos war ihr in den vergangenen Stunden nicht vergönnt gewesen.
Ihm war die Ehre zuteil geworden, im persönlichen Gefolge des Herzogs Platz zu finden, so dass sie nicht einmal ein Wort mit ihm hatte wechseln können, ohne unliebsame Aufmerksamkeit zu erregen. Auch war es ihr bisher weder vergönnt gewesen, der Herzogin ihre Bitte vorzutragen, noch den Fürsten selbst zu sprechen.
Ob Jos mehr Glück gehabt hatte, vermochte sie nicht zu sagen. Seine Miene verriet eher stille Wachsamkeit als den erwarteten Triumph. Ihre Augen suchten die vier Paare, die neben dem Thron standen. Das Wiedersehen mit ihren Gefährtinnen aus Sainte Anne hatte ebenfalls ein wenig unter ihrer Sehnsucht nach Jos gelitten. Gradana, Jorina, Oliviane und Tiphanie in ihrem Glück zu sehen, erinnerte sie schmerzlich daran, dass ihr Wohlergehen noch vom Wort eines Fürsten abhing, der vielleicht aus politischen Gründen sein Veto einlegte.
Das jähe Schweigen, das sich rund um sie herum ausbreitete, ließ Ysobel aufsehen, und sie fand sich plötzlich Auge in Auge mit Jean de Montfort. Sie hatte nicht
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